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Berliner Morgenpost: Es gibt keine Bürger erster und zweiter Klasse - Leitartikel

Berlin (ots)

Es ist ein verheerendes Signal - und ein
entlarvendes: Die Bundesregierung, Ministerialbeamte und Mitarbeiter 
von oberen Bundesbehörden bekommen eine Vorzugsbehandlung. Nicht 
jener Impfstoff wird ihnen injiziert, mit dem sich der normale Bürger
vor der Schweinegrippe schützen soll. Nein, sie bekommen stattdessen 
eine verträglichere Variante des Wirkstoffs. Das böse Wort von der 
Zwei-Klassen-Medizin drängt sich auf. Und George Orwells Roman "Farm 
der Tiere", in dem alle gleich sind, "aber manche gleicher".
Verheerend ist die Bestellung der 200000 Extra-Dosen des 
verträglicheren Impfstoffs für die Impffreude der Deutschen. Schon 
zuvor hatte nur etwa ein Viertel der Deutschen vor, sich impfen zu 
lassen. Jetzt lautet die Botschaft: So unbedenklich ist der "normale"
Impfstoff nicht, deshalb sollen wichtige Entscheidungsträger einen 
harmloseren bekommen. Kein ermutigendes Signal für den in seiner 
Entscheidung schwankenden Bürger.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, sagen Pharmakologen. Doch beides 
muss in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Bei 
bedrohlichen Krankheiten sind Mediziner und ihre Patienten geneigt, 
ein größeres Komplikationsrisiko einzugehen, um einen schweren 
Gesundheitsschaden abzuwenden. Doch die Schweinegrippe ist unter dem 
Strich weit harmloser als etwa die saisonale Grippe. An der Ersten 
starben weltweit bislang rund 3000 Menschen; sehr viele von ihnen in 
Ländern mit weit schlechterer Gesundheitsversorgung als Deutschland. 
Der saisonalen Grippe erliegen jedoch jedes Jahr allein in 
Deutschland 5000 bis 20000 Menschen. Die Schweinegrippe 
verläuft fast immer mild - dass sich ihre Bedrohlichkeit in den 
kommenden Monaten ändert, ist wenig wahrscheinlich. Das zeigt die 
Erfahrung in Australien, wo es während des zu Ende gehenden 
Südwinters zu keiner gefährlichen wechselseitigen Vermischung von 
saisonaler und Schweinegrippe kam. Aber zugegeben: Es besteht ein 
Restrisiko. Dann würde auch eine Impfung mit Nebenwirkungen in neuem 
Licht erscheinen.
Vielleicht hatten Regierung und Gesundheitsbehörden keine andere 
Wahl, als die Impfstoffentwicklung so schnell wie möglich zu 
forcieren. Würde das Restrisiko tragische Realität und kein Impfstoff
wäre da - man würde die Verantwortlichen selbstverständlich der 
Verantwortungslosigkeit zeihen.
Aber fragen muss man dennoch, ob es angesichts des in Europa fast 
immer milden Krankheitsverlaufs nicht sinnvoll gewesen wäre, nicht 
den ersten lieferbaren, sondern den besseren Impfstoff zu bestellen. 
Die Verträge über 50 Millionen Dosen des Booster-Impfstoffs wurden 
übereilt geschlossen, jetzt muss die Bundesregierung diese auch 
abnehmen. Neben den 200000 Dosen der verträglicheren Variante
für Beamte nun noch weitere 50 Millionen für jedermann 
nachzubestellen, ist illusorisch. Dass sie sich bei den 
Exklusivverträgen mit zwei Herstellern hat über den Tisch ziehen 
lassen, das bestätigt die Bundesregierung jetzt indirekt mit ihrer 
entlarvenden Vorzugsbehandlung.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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