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Berliner Morgenpost: Mit einer Niederlage zum Sieg - Leitartikel

Berlin (ots)

Die große Koalition der Kompromisse ist beendet,
die traditionellen Lager der Republik sind wieder hergestellt. Zurück
in die Zukunft - fast zwei Jahrzehnte nach der Ära Kohl und Genscher.
Westerwelle triumphiert, Merkel regiert.
Das Maximalziel ist erreicht. Mit dem Wahlergebnis aber kann niemand 
in der Union wirklich zufrieden sein. Merkels Popularität und ihr 
Kanzlerbonus sind weitgehend verpufft und konnten nicht in Stimmen 
umgewandelt werden. Das präsidiale Auftreten beeindruckt vielleicht 
im Ausland, erreicht aber offenbar nicht die Herzen der Menschen in 
Deutschland. Auch wenn ein Teil des Stammklientels taktisch gewählt 
hat: Mit dem sensationellen Ergebnis der FDP hat sich die von der CDU
vernachlässigte Mitte der Gesellschaft eindrucksvoll zu Wort 
gemeldet. Die Union hat ein Problem - und muss aufpassen, dass sie 
sich in den nächsten Jahren nicht langsam von der Bühne der großen 
Volksparteien verabschiedet.
Die SPD ist auf dem Weg dahin bereits ein ganzes Stück weiter. Ihr 
fehlt nach der historischen Niederlage mit bestehendem Personal und 
Programm eine wirkliche Perspektive. Steinmeier und Müntefering 
wirken mittlerweile wie Platzhalter, die darauf warten, abgeräumt zu 
werden. Die Partei steht vor einer Zerreißprobe. Immer wieder wurde 
in den vergangenen Wochen parteiintern an alternativen 
Personaltableaus gebastelt - mit und ohne Klaus Wowereit, 
dessen Partei selbst in Berlin nur noch drittstärkste Kraft ist.
SPD und CDU verlieren, FDP, Linke und Grüne sind stark wie nie. Die 
Großen ganz klein, die Kleinen ganz groß. Die vertraute 
Koalitionsarithmethik gerät langsam ins Wanken. Unser Land ist eine 
Großbaustelle - mitten in der Wirtschaftskrise. Ob Bildung oder 
Gesundheit, Sozialsysteme oder Rente, Arbeitsmarkt oder digitale 
Revolution, Sicherheits- oder Energiepolitik: Überall sind 
Richtungsentscheidungen notwendig - in einem Spagat zwischen 
Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit. Angela Merkel wäre es nicht 
unangenehm gewesen, vor diesem Hintergrund mit der SPD 
weiterzuregieren. Es ist letztlich eine Frage der Zeit, bis sich 
unter dem Druck kommender schmerzlicher Einschnitte SPD, Linke und 
Grüne gemeinsam formieren und einen. Merkel und Westerwelle haben 
vier Jahre Zeit: Sie müssen das Land reformieren, hohe Erwartungen 
ihrer Klientel erfüllen und ein erstarkendes linkes Bündnis auf 
Distanz halten. Eine schwere Aufgabe.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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