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Netzwerkdurchsetzungsgesetz gefährdet Debattenkultur im Netz - Amadeu Antonio Stiftung lehnt Entwurf ab und fordert runden Tisch

Berlin (ots)

Nach dem heutigen Treffen mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Kelber im Bundesjustizministerium erneuert die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, ihre Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz:

"Der vorliegende Entwurf geht inhaltlich an den Erfordernissen vorbei, ist juristisch fragwürdig und privatisiert das Recht. Das Gesetz wird nicht den strafbewährten Hass vermindern, sondern zu einer Löschpraxis führen, die die Meinungsfreiheit einschränkt und eine gewissenhafte Strafverfolgung erschwert. Deshalb lehnt die Stiftung den Entwurf ab und hält ihn auch nicht für reparabel.

Ziel eines Gesetzes sollte es sein, rechtswidrige Äußerungen wie Beleidigungen, Volksverhetzung und üble Nachrede zu bekämpfen. Der Staat kann das tun, indem er Prävention in der Gesellschaft fördert, dem Strafrecht auch im Netz Geltung verschafft und seine Institutionen wie seine Bürger in die Lage versetzt, sich mit Hass im Netz inhaltlich auseinanderzusetzen und fortzubilden.

Anstatt eilig ein ungeeignetes Gesetz durchzubringen, braucht es einen runden Tisch, an dem wirksame Ansätze zur Bekämpfung von strafbaren Inhalten im Netz erarbeitet werden. Das Justizministerium, die Unternehmen und die Zivilgesellschaft sollten reihum als Gastgeber auftreten und ihre unterschiedlichen Perspektiven einbringen können."

Die zentralen Kritikpunkte der Amadeu Antonio Stiftung am Gesetzesentwurf:

   - Dem Gesetzesentwurf fehlt eine Gesamtstrategie, um das Problem 
     von Hate Speech im Netz zu bekämpfen. Hassinhalte sind Ausdruck 
     menschenfeindlicher Einstellungen, die durch das Entfernen von 
     Inhalten nicht verschwinden. Es bedarf Studien und Monitoring, 
     der Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft sowie der Medien- 
     und Informationskompetenz.
   - Für die Anforderungen strafrechtlicher Ahndung im Internet 
     müssen auch Staatsanwaltschaften und Polizei qualifiziert 
     werden.
   - Der Gesetzentwurf sieht folgendes vor: Wenn ein User einen 
     gesetzwidrigen Text meldet, muss das Unternehmen anstelle eines 
     Gerichts prüfen und ggf. löschen - andernfalls drohen hohe 
     Bußgelder. Das bedeutet de facto eine Privatisierung der 
     Rechtsprechung im sehr sensiblen Bereich der Meinungsfreiheit.
   - Da das jeweilige Unternehmen kein Gericht ist, das abwägt und 
     Kontexte vergleicht, wird es im Zweifelsfall alle gemeldeten 
     Posts löschen. Dadurch werden auch Meinungen gelöscht, die durch
     die Meinungsfreiheit geschützt sind. Das führt zu einer schweren
     Einschränkung der Meinungsfreiheit.
   - Ein Widerspruchsrecht gegen das Löschen ist nicht vorgesehen, 
     was verfassungsrechtlich fragwürdig ist.
   - Das vollkommene Löschen tatsächlich strafbarer Inhalte ist 
     problematisch, da eine Auseinandersetzung und eine 
     Strafverfolgung danach nur schwer erfolgen kann. Der 
     Rechtsschutz der Opfer wird dadurch in unzumutbarer Weise 
     erschwert. Auf diese Weise versucht der Staat, sich seiner 
     Pflichten zu entledigen.
   - Der Gesetzesentwurf enthält zudem Straftatbestände, die weit 
     über das Problem von Hate Speech hinausgehen und in der 
     Rechtspraxis kaum noch angewandt werden. Dazu gehört z.B. die 
     Verunglimpfung des Bundespräsidenten u.a.m. Hier zu 
     sanktionieren bedeutet eine ernstzunehmende Einschränkung der 
     Debattenkultur in den sozialen Medien.
   - Technisch verbessert sich Falle einer Meldung oder Anzeige die 
     Rechtsdurchsetzung nicht. Auch nach der Berufung eines 
     inländischen Zustellungsbevollmächtigten der Unternehmen bleibt 
     die Kooperation zwischen Plattformbetreibern und Ermittlungs- 
     und Strafverfolgungsbehörden freiwillig.

Eine ausführliche Stellungnahme der Amadeu Antonio Stiftung zum Gesetzesentwurf ist unter folgendem Link zu finden: www.amadeu-antonio-stiftung.de/stellungnahme_netzdg

Zum Hintergrund:

Vor gut zwei Wochen hat sich die Amadeu Antonio Stiftung gemeinsam mit anderen Organisationen mit einer "Deklaration für die Meinungsfreiheit" gegen den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes positioniert. Der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber hat daraufhin alle Unterzeichner der Deklaration zu einem Gespräch eingeladen. Die Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Hass in den sozialen Netzwerken.

Die gemeinsame Pressemitteilung der Unterzeichner der Deklaration für Meinungsfreiheit ist unter folgendem Link zu finden: https://deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de/

Über die Amadeu Antonio Stiftung:

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.

Pressekontakt:

Robert Lüdecke
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Amadeu Antonio Stiftung
030 240 886 16
robert.luedecke@amadeu-antonio-stiftung.de

Original content of: Amadeu Antonio Stiftung, transmitted by news aktuell