BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Führungsschwache SPD weckt neue Zweifel - Kommentar

19.11.2008 – 18:45

Berlin (ots)

Das ist fast provozierend, wenn ausgerechnet der
Chef der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck auf die Frage nach der 
größten Schwäche der Bundeskanzlerin dieser Tage Angela Merkel 
Führungsschwäche attestiert. Die Attacke ist ein untaugliches 
Ablenkungsmanöver. Für jedermann sichtbar führungsschwach zeigt sich 
seit Wochen die neue SPD-Führungstroika Müntefering (Parteivorsitz), 
Steinmeier (Kanzlerkandidat) und Struck (Fraktionschef). Mal 
verweigern ihnen die Fraktion, mal Frau Ypsilanti, und dann auch noch
die Parteifreunde in gleich mehreren Landesregierungen die 
Gefolgschaft. Nach glaubwürdigem Neuanfang, nach starker Führung 
sieht das nicht aus.
Alles fing mit Hessen an. Weil sich Andrea Ypsilanti selbst gegenüber
der Berliner Parteizentrale als völlig beratungsresistent erwies, 
verspielte sie dilettantisch alle Chancen, aus ihrem vermeintlichen 
Wahlerfolg politisches Kapital auch für die gesamte Partei zu 
schlagen. Das Hessen-Drama endete gestern für die SPD mit dem GAU der
Neuwahl; Resignation statt Aufbruch. Hält sich der Gesichtsverlust 
für die Berliner Parteiführung angesichts der Starrköpfigkeit von 
Frau Ypsilanti noch in Grenzen, ist sie in zumindest drei anderen 
Fällen aus den eigenen Reihen geradezu vorgeführt worden.
 Erst hat es insbesondere den Kanzlerkandidaten Frank-Walter 
Steinmeier getroffen, als die SPD eine im Koalitionsausschuss schon 
abgesegnete Vereinbarung mit der CDU/CSU über einen erweiterten 
Einsatz der Bundeswehr im Innern widerrufen musste. Nur ein paar Tage
später verweigerte die Bundestagsfraktion ihrer Führung die 
Gefolgschaft, als sie die Pläne für eine längere Aussetzung der 
Kfz-Steuer zur Belebung des Neuwagenverkaufs verwarf. Vorläufiger 
Höhepunkt des Auseinanderdriftens zwischen der Berliner Parteispitze 
einerseits, Fraktion und SPD-Landesebene andererseits ist der Umgang 
mit dem BKA-Gesetz. Von der Bundesregierung ausgehandelt und 
beschlossen, von den Koalitionsfraktionen schon mit einigen 
SPD-Gegenstimmen parlamentarisch verabschiedet, wird es nun im 
Bundesrat am Widerstand der Länder, in denen die SPD mitregiert, 
vorerst scheitern. Ein Land nach dem anderen, von Schleswig-Holstein 
über Sachsen und Berlin bis Rheinland-Pfalz verweigert die 
Zustimmung.
Die SPD scheint nicht auf dem Weg voran zu neuer Einigkeit, sondern 
zurück zur Unberechenbarkeit, zur Beliebigkeit, wo fast jeder machen 
kann was er will. Führungsstärke? Die neue Troika hat die in sie 
gesetzten Hoffnungen und Erwartungen bislang nicht erfüllt. In 
Anbetracht der mangelnden Durchsetzungskraft von Müntefering, 
Steinmeier und Struck drängt sich erneut eine Frage auf: Wie 
glaubwürdig sind ihre Versprechungen noch, im Bund 2009 nicht mit der
Linkspartei zu koalieren? Wer Partei und Fraktion nicht im Griff hat,
weckt Zweifel.

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