++ BUND und BfN stellen Evaluation der ersten großen Deichrückverlegung vor | Intakte Flussauen: Hochwasserschutz sowie Hotspot der Artenvielfalt ++
Pressemitteilung
24. Juli 2025 | 088 | Gemeinsame Pressemitteilung | Doppelsendungen bitten wir zu entschuldigen
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BUND und BfN stellen Evaluation der ersten großen Deichrückverlegung vor
Intakte Flussauen: Hochwasserschutz sowie Hotspot der Artenvielfalt
- 7,4 km Deich verlegt und 420 Hektar Aue an der Elbe zurückgewonnen
- Monitoring bestätigt vielfältigen Nutzen für Klima, Mensch und Natur
- Hochwasserspitzen abgesenkt
Berlin/Bonn/Lenzen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und das Land Brandenburg haben gemeinsam die erste groß angelegte Deichrückverlegung in Deutschland realisiert und deren Entwicklung über mehr als zehn Jahre wissenschaftlich begleitet. Rund 420 Hektar, was 587 Fußballfeldern entspricht, genutztes Grünland in der Lenzener Elbaue wurden erfolgreich an die Elbe zurückgegeben und zur Auenwildnis entwickelt. Die heute veröffentlichte Evaluation belegt: Die Maßnahme ist ein beispielhafter Meilenstein für ökologischen Hochwasserschutz, den Erhalt der Artenvielfalt und natürlichen Klimaschutz. Das Projekt (2002–2011) wurde vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) aus Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Es war deutschlandweit das erste große Vorhaben dieser Art und wurde – wie bei derartigen Projekten üblich – etwa zehn Jahre nach dem Abschluss evaluiert. Die Ergebnisse präsentieren BUND und BfN heute vor Ort.
Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND: “Mit der Deichrückverlegung bei Lenzen hat der BUND ein Mut-machendes Projekt umgesetzt. Wenn Hochwasserschutz, Landwirtschaft und Naturschutz konkret in der Fläche Hand in Hand arbeiten, können vielfältige Synergien entstehen, von denen Klima, Mensch und Natur gleichermaßen profitieren. Dies zeigen die Erfolgskontrollen eindrücklich.“
Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, ergänzt: „Jeder Hektar Auenrenaturierung zählt. Das untersuchte Projektgebiet umfasst allein 10 Prozent der seit 2009 zurückgewonnenen Flussauen Deutschlands. Intakte, also regelmäßig vom Fluss überflutete Auen bremsen Hochwasserspitzen ab, sind ein wichtiger Kohlenstoffspeicher und zählen zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Die von Bund und Ländern hier eingesetzten Fördermittel können sich allein beim Hochwasserschutz in Zukunft vielfach auszahlen, da dadurch Schäden vermieden werden könnten.“
Waren 2002 in dem Gebiet noch 2,5 Millionen Sandsäcke zum Deichschutz notwendig, brauchte es beim nächsten Jahrhunderthochwasser 2013 keinen einzigen. Durch die fertiggestellte Deichrückverlegung fiel der Hochwasserstand um 50 Zentimeter niedriger aus, als es mit dem alten Verlauf des Deiches der Fall gewesen wäre. Ein Effekt, der auch im 25 Kilometer entfernten Wittenberge noch zu spüren war: Die Stadt profitierte von einer Absenkung von 8 cm und gewann so den Kampf gegen das Hochwasser. Dies hat für eine mittlerweile große Zustimmung zum Projekt bei der Bevölkerung gesorgt.
Angesichts der prognostizierten Zunahme der Wetterextreme, Starkregen und anhaltender Dürre macht das BUND-Projekt einen echten Unterschied für den Hochwasserschutz und den Wasserrückhalt in der Region. Bandt fordert die jetzige Regierung auf, sich verstärkt für den Schutz von Flüssen und ihren Auen einzusetzen: „Die längst überfälligen Förderrichtlinien im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz müssen endlich auf den Weg gebracht werden und bestehende Bundesprogramme wie das Blaue Band Deutschland oder Biologische Vielfalt brauchen eine deutlich bessere finanzielle und personelle Ausstattung.“
Auch Artenreichtum, Klimaschutz, Grundwasser und Tourismus profitieren von der Deichrückverlegung: Die angelegten Flutmulden, der neue Auenwald und eine Weide für Wildpferde haben aus monotonem Grünland eine vielfältige, für Mensch und Natur attraktive, Auenlandschaft werden lassen. 63 Brutvogel-Arten sind hier nun heimisch, darunter seltene und bedrohte Arten wie Kiebitz, Seeadler sowie zahlreiche Braunkehlchen. Auch die Fischarten (Nachweis von knapp 30 Arten, darunter gefährdete wie Bitterling, Schlammpeitzger, Zander) sowie das Vorkommen von Amphibien stiegen deutlich an.
Außerdem speichern regelmäßig überflutete Auen 30 Prozent mehr Kohlenstoff, als sogenannte Altauen, die keinen Kontakt zum Fluss mehr haben. Dies gilt insbesondere für Auenwälder, die deutlich mehr Kohlenstoff binden als ein durchschnittlicher deutscher Wald. „Wir haben hier zusammen mit den Akteur*innen vor Ort einen wichtigen Beitrag zum natürlichen Klimaschutz geleistet“, sagte Olaf Bandt, „Angesichts der zunehmenden Wasserknappheit in weiten Teilen Deutschlands brauchen wir mehr intakte Auen, denn als natürliche Wasserspeicher nehmen sie große Mengen Wasser auf und geben es langsam wieder ab.”
Sabine Riewenherm ergänzt: „Es braucht deutlich mehr große Deichrückverlegungen wie diese hier in Lenzen. Zusammen mit dem BUND konnte das BfN hier Pionierarbeit leisten und zeigen, dass Projekte dieser Art realisierbar sind und vielfach positive Wirkungen entfalten. Die vorliegenden Ergebnisse zur Deichrückverlegung sind auch für zukünftige Vorhaben und Prozesse wichtig. Die im Juni 2024 in Kraft getretene Wiederherstellungsverordnung setzt neue Impulse für die Renaturierung von Ökosystemen und kann von den hiesigen Erfahrungen profitieren.“
Hintergrund:
Deutschlands Flüssen sind kaum ein Drittel ihrer ursprünglichen Auen geblieben und von diesen sind keine 10 Prozent mehr ökologisch funktionsfähig. Dabei brauchen wir angesichts der Klima- und Biodiversitätskrisen intakte Auen mehr als je zuvor. Es sind unsere artenreichsten Lebensräume in Mitteleuropa. Sie puffern die Wetterextreme wie Starkregen und Dürren als bereits spürbare Effekte der Klimakrise ab und wirken dieser als effiziente Kohlenstoffspeicher direkt entgegen. Die aktuelle BUND Grundwasserstudie zeigt, dass in Deutschland bereits in vielen Regionen Grundwasserstress herrscht.
Trotz des großen Nutzens, den unsere Gesellschaft durch intakte Auen gewinnen könnte, werden gesteckte Ziele zur Wiedergewinnung und Revitalisierung der Feuchtgebiete, wie z.B. in der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt formuliert, bislang weit verfehlt. Etwas mehr als ein Prozent der angestrebten 10 Prozent Zunahme von Überschwemmungsflächen wurden erreicht. Die Deichrückverlegung bei Lenzen gehört nach wie vor zu den vier größten Projekten dieser Art und ist bislang die einzige, die über einen so langen Zeitraum umfassend evaluiert wurde. Die vorliegenden Erfahrungen und Ergebnisse bereichern den aktuellen Diskurs über die Bedeutung und Notwendigkeit der Renaturierung von Auen.
Mehr Informationen:
- BUND-Auenzentrum
- BUND-Grundwasserstudie
- BfN Auenzustandsbericht 2021 https://www.bfn.de/auenzustand#anchor-5506
- BfN Empfehlungen Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt https://bfn.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/1928/file/Schrift719.pdf [MK1]
- Kontakt: Dr. Meike Kleinwächter, Leitung BUND-Auenzentrum, Mobil 0160-92185440, E-Mail meike.kleinwaechter@burg-lenzen.de
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