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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "China und die Buchmesse"

Bielefeld (ots)

Die Frankfurter Buchmesse bringt es an den Tag:
China hat's schwer. Nur eine einzige Regierung für 9,6 Millionen 
Quadratkilometer (Deutschland leistet sich deren 17 für nur 1/27 der 
Fläche), 56 ethnische Gruppen in 27 Provinzen, Küsten- und 
Wüstenvölker, Bauern, Fischer und Fabrikarbeiter, mindestens 1,6 
Millionen Strafgefangene - kein Wunder, dass ihrer aller Interessen 
kaum unter einen Hut zu bringen sind.
Es macht die Sache nicht einfacher, dass die 1,3 Milliarden Chinesen 
nur eines wollen: Freiheit. 1,3 Milliarden Freie sind schwerer zu 
hüten als ein Sack Flöhe. Sagt Peking. Die Interessen der 
chinesischen Delegation bei der Buchmesse sind denn auch recht 
übersichtlich: 2000 Abgesandte, die feiern wollen. Aber bitte nur mit
Gleichgesinnten.
Den Leuten kann geholfen werden. Sie sind schließlich Gast in 
Frankfurt, und der Gast wird in Watte gepackt. Den Chinesen zuliebe 
laufen zwei Veranstaltungsreihen nebeneinander her - hier der 
Propaganda-Talk der Parteisoldaten, dort die Gespräche der 
unabhängigen Menschenrechtler. Begegnungen sind unnötig, weil 
unangenehm.
Dissidenten wurden ausgeladen - von den Deutschen. Dennoch nickte der
Messechef Jürgen Boos andächtig, als Mei Zhaorong, einst Botschafter 
in Berlin, Deutschland eine Diktatur schimpfte. Michael 
Kahn-Ackermann, der das Goethe-Institut in Peking leitet, bat um 
Verständnis für Chinas Aggressionen, denn ohne Nationalismus flögen 
Peking die 27 Provinzen um die Ohren.
Und als der Systemkritiker Ai Weiwei krankheitsbedingt absagte, fand 
der Messesprecher Thomas Minkus dies schade - »aber Gesundheit geht 
vor.« Das hört sich artig an, wenn man aber weiß, dass Ai nicht 
kommen kann, weil er von chinesischen Polizisten krankenhausreif 
geprügelt wurde, verkehren sich Minkus' Trostworte in ihr Gegenteil: 
in Hohn.
Die Buchmesse steht im Zwielicht, aber aufmerksame Beobachter haben 
das Unglück kommen sehen. 2003, als Putins Reich als Gastland 
auftrat, wurde die Rückkehr zur Willkür der alten Zaren gleichmütig 
akzeptiert. Und die Türkei (Gastland 2008) auf ein Mindestmaß an 
Respekt gegenüber Andersdenkenden verpflichten? Undenkbar.
Woher rührt die Feigheit? Wer nicht Churchills böses Wort wiederholen
will, demzufolge man die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu 
seinen Füßen habe, wird den Kniefall vor Peking als Folge kultureller
Dekadenz erklären: Die Buchmesse ist längst nicht mehr Deutschlands 
literarisches Größtereignis, sondern ein Treffen der Krämer. Sie 
sehen aus den Büchern eher Geld denn humane Ideen sprudeln.
Deutsch-chinesischer Dialog, Teil 1. Der Intellektuelle: »Chinas Weg 
in die Demokratie ist weit, man muss sich ein wenig gedulden.« Der 
Dissident Ai Weiwei: »Warum muss ich mich gedulden? Ich habe nur ein 
Leben!«
Deutsch-chinesischer Dialog, Teil 2. Die Intellektuelle: »Endlich 
stellen Sie dem Regime kritische Fragen!« Die Dissidentin Dai Qing: 
»Ja, aber keine wird beantwortet.«

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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