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Mittelbayerische Zeitung: Der Fleck im Festgewand Von Wagners Erben wird Aufklärung verlangt. Neue Wahrheiten können sie nicht liefern. Leitartikel von Claudia Bockholt

Regensburg (ots)

Nach künstlerischen Debakeln und innerfamiliärem Gezerre um die Festspielleitung hat ein tätowierter russischer Sänger einen neuen Sturm auf den Grünen Hügel entfacht. Die entrüstete Debatte führt tief in die mit dem Nationalsozialismus verflochtene Geschichte des Hauses. Aufklärung wird lautstark verlangt und versprochen. Doch das Dilemma dieser berühmten Opernwochen wird sie nicht lösen. Wagners Musik wird nicht von seiner von Antisemitismus und Nationalismus getränkten Weltsicht zu lösen sein: Die braunen Flecken kriegt man aus dem Festgewand nicht raus. Evgeny Nikitin trug seine Haut zu Markte: Offizielle Fotos zeigen die Tattoos, darunter auch eine altgermanische Rune, die - auf den Kopf gestellt - von Neonazis verwendet wird. Dass diese abstoßenden Insignien den einstigen Rock-Rebellen und jetzt etablierten Bass-Bariton so kurz vor der Premiere die Traumrolle als "Fliegender Holländer" kosteten, erstaunt trotzdem. Der Sänger und die Wagner-Schwestern hätten es früher wissen können, sich intensiver auseinandersetzen müssen. Sicher stand ein noch größerer Skandal zu befürchten: Nazi-Symbole ausgerechnet in Bayreuth! Doch die Umbesetzung im Hau-Ruck-Verfahren wurde weder dem Menschen noch dem "Vergehen" gerecht. Warum aber wird im Fahrwasser dieser "Holländer"-Havarie von so vielen Seiten "Aufklärung" vom und im Hause Wagner gefordert? Hat es sich doch hier politisch korrekt, vielleicht sogar überkorrekt verhalten. Was verspricht man sich von einer Öffnung der Familienarchive? Welche neue Wahrheit über Wagner und seine Nachkommen erhofft man sich? Der Grüne Hügel galt zu keiner Zeit als Festung von Toleranz und Demokratie. Das Haus wurde gebaut auf den Grundpfeilern eines rassistischen Nationalismus. Das dokumentiert die gerade im Park vor dem Festspielhaus gezeigte Ausstellung "Verstummte Stimmen". Dort heißt es dezidiert, dass Richard Wagner einer der "wichtigsten Stichwortgeber für die Vertreibung der Juden aus den deutschen Opernhäusern" gewesen sei. Seine Frau Cosima sah in Bayreuth "ein Stück wiedergewonnene Identität", ein Haus mit "Deutungshoheit nicht nur über Wagners Werk, sondern über das wahre 'Deutschthum'". Die Ausstellung als einen Schritt der Familie Wagner zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu betrachten, wie es Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch im MZ-Gespräch tat, geht nicht. Denn leider hatte die Wanderausstellung nicht in Bayreuth ihren Ausgangspunkt. Seit 2006 hat sie fünf Stationen durchlaufen. Zum anderen fragt man sich nach einem bedrückten Gang durch die Stelen mit Fotos von im KZ ermordeten Künstlern, welche Fragen noch unbeantwortet sind. Wagner war glühender Antisemit. In seiner Schrift "Das Judenthum in der Musik" zieht er eine "gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elements" als Möglichkeit in Betracht, den "Verfall unsrer Kultur aufzuhalten". Natürlich: Wagner hat die braune Brut nicht mit dem Taktstock herbeigezaubert. Doch er ist nach seinem Tod keineswegs instrumentalisiert worden. Hätte er noch gelebt, hätte er sich mit Sicherheit vom Propaganda- und Kulturminister Goebbels vereinnahmen lassen - so wie Leni Riefenstahl, Arno Breker, Zarah Leander, Heinz Rühmann und viele andere. Was für die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands gilt, gilt auch für das Haus Wagner. Es ist Pflicht der Nachkommen, den scheußlichen brauen Fleck nicht zu verstecken. Mit noch soviel Aufklärung lässt er sich aber niemals tilgen. Mit widerstreitenden Gefühlen und damit, dass eben nicht alles nur hehre Kunst und Glanz und Gloria ist, muss Bayreuth auch in Zukunft leben.

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