All Stories
Follow
Subscribe to nd.DerTag / nd.DieWoche

nd.DerTag / nd.DieWoche

Ende einer Geisterfahrt - Kommentar zur Regierungskrise in Thüringen

Berlin (ots)

Thomas Kemmerich wollte zügig und unbekümmert zur Tagesordnung übergehen. Nach seiner Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten mit den Stimmen der gesamten AfD-Fraktion machten seine ersten Termine die Runde: ein Grußwort bei Carl Zeiss in Jena, ein Besuch bei einer Nachhaltigkeitskonferenz, dazwischen vielleicht noch Gespräche mit anderen Parteien über eine neue Regierung. Dass seine Amtsübernahme nichts mit dem politischen Normalbetrieb zu tun hat, diese Erkenntnis musste dem FDP-Mann erst die geballte öffentliche Empörung einbläuen. Nur wenige, wie die stockkonservative Werteunion und der ebenso rechtslastige Publizist und Hobbypolitiker Helmut Markwort, finden die ganze Sache demokratisch tadellos.

Die Empörung war so breit und einhellig wie selten. Vertreter fast aller Parteien, von Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften, aus Kultur und Wirtschaft kritisierten die Skandalwahl derart heftig, dass Kemmerich nicht nur seine Termine sausen ließ, sondern kurz darauf auch gleich das neue Amt. Dass er am Donnerstagmittag seine Geisterfahrt beendete, ist auch FDP-Chef Christian Lindner zu verdanken, der schleunigst nach Erfurt geeilt war, um Schlimmeres für seine ganze Partei zu verhindern - von der man sich spätestens jetzt fragen kann, wozu sie eigentlich gebraucht wird. Wenn es stimmt, was Kemmerich über seine jüngsten Kontakte zu Lindner äußerte - dass er mit ihm vor der Wahl permanent in Kontakt gewesen sei und besprochen habe, "was wir hier in Thüringen beschlossen haben" -, dann wird Lindner selbst auch noch einige dringende und unangenehme Fragen zu beantworten haben.

Wie ohnehin aufzuarbeiten ist, in welchem Maße CDU und FDP in Thüringen seit der Landtagswahl vor gut drei Monaten mit einer gewissen Unterstützung aus der Höcke-AfD kalkulierten oder darauf spekulierten. Jedenfalls berichten Teilnehmer an den vielen Gesprächen, die seither im Freistaat geführt wurden, dass in CDU und FDP genau über die Methode zur Verdrängung von Rot-Rot-Grün nachgedacht wurde, die jetzt makabre Wirklichkeit geworden ist.

Was man daraus leider auch lernen muss: Hoffnungen in eine demokratische Vernunft, die eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten möglich machen könnte, prallen ab an der schnöden Borniertheit des Machtdenkens.

Wenn der Sündenfall von Erfurt überhaupt zu irgendetwas taugt, dann dazu: zu beweisen, dass es in der Mehrheitsgesellschaft noch einen antifaschistischen Grundkonsens gibt. Diese Klarstellung ist dringend notwendig.

Pressekontakt:

neues deutschland
Redaktion

Telefon: 030/2978-1722

Original content of: nd.DerTag / nd.DieWoche, transmitted by news aktuell

More stories: nd.DerTag / nd.DieWoche
More stories: nd.DerTag / nd.DieWoche
  • 05.02.2020 – 18:18

    Kommentar zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen

    Berlin (ots) - Der politische Dammbruch nach rechts außen, der oft schon befürchtet, vor dem oft gewarnt wurde - dieser Dammbruch hat sich nun in Thüringen ereignet. Der AfD ist es mit einem billigen Verfahrenstrick (einen eigenen Kandidaten zu nominieren, aber dann einen anderen zu wählen) gelungen, den LINKE- Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu stürzen. Man ...

  • 04.02.2020 – 18:15

    Kommentar zu steigenden Zahlen von Krebserkrankungen

    Berlin (ots) - Mit zunehmendem Alter steigt gefühlt die Zahl der Einschläge, wie es im Bekanntenkreis heißt. Neben Diabetes, Arthrose oder dem ersten Stent kommt häufiger die Schreckensnachricht: Krebs. Auch die Wahrscheinlichkeit, an einem Tumor zu erkranken, nimmt mit dem Lebensalter zu. Aber nicht nur das: Andere wichtige Risikofaktoren sind Rauchen, ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung. Würde hier mehr ...

  • 03.02.2020 – 18:17

    Chinesen als Sündenböcke - Kommentar zu Rassismus angesichts von Corona

    Berlin (ots) - China wird von westlichen Regierungen ständig als Bedrohung dargestellt. Nicht selten ist dort von der "Gelben Gefahr" die Rede, die entweder durch Lohndumping dafür verantwortlich ist, dass Menschen in den alten Industrieländern ihre Arbeit verlieren, oder den Rest der Welt mit billigem Plastikspielzeug überschwemmt. Auch wenn China Teil nicht ...