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Berliner Morgenpost: Ehrlichkeit führt leider selten zu Wahlerfolgen - Leitartikel

Berlin (ots)

Der große Macht-Theoretiker Niccolo Machiavelli
unterscheidet zwei Typen der Elite: Füchse und Löwen. Der Fuchs 
agiert mit Schläue, List und Elastizität - der Löwe dagegen, 
kraftvoll und gewaltbereit, sucht stets nach Konflikten. Erfolgreich 
sind vor allem Anführer, die beide Fähigkeiten vereinen, um im 
richtigen Moment entweder den inneren Fuchs oder Löwen von der Kette 
zu lassen. Bei weiten Teilen der deutschen Eliten, ob Horst Köhler 
oder Angela Merkel, ob Verteidigungs- oder Außenminister, scheinen 
Fuchs- und Löwenmomente bisweilen arg durcheinander zu geraten. 
Wünscht man sich Merkel bisweilen etwas löwenartiger, würde man 
Westerwelle, Guttenberg und dem Bundespräsidenten zu fuchsartigerem 
Verhalten raten.
Besonders augenfällig wurde das heikle Fuchs/Löwe-Spiel beim Wechsel 
des Freiherrn zu Guttenberg vom eher darstellerisch geprägten 
Wirtschaftsressort ins sensible Verteidigungsministerium. Mit 
gewohntem Schneid startete der CSU-Siegfried ins neue Amt und 
erklärte die Bomben von Kundus für militärisch angemessen. Der Fuchs 
hätte seine Worte in derart unübersichtlicher Lage listiger gewählt.
Die Rollenverwirrung der deutschen Eliten ist einer hysterisch 
geladenen Debatte geschuldet, die Führungskräfte immer wieder in 
paradoxe Entscheidungssituationen manövriert. Natürlich weiß die 
Bundeskanzlerin, dass der Schuldenhaushalt keine Spielräume für 
Steuersenkungen lässt. Eine konfliktfreudige Löwin würde dem Volk die
bittere Wahrheit verkünden: Nur mit Kürzungen, langfristiger 
Ausgabendisziplin und kollektiver Anstrengung lassen sich griechische
Verhältnisse abwenden. Doch die Füchsin Merkel weiß: Jeder Satz 
zuviel zum heiklen Thema Finanzen würde Wähler schrecken. Im 
Spannungsfeld zwischen Steuersenkungsversprechen und der leeren Kasse
würde ein ehrliches Festlegen nur Konflikte und mithin schwindende 
Chancen bei der NRW-Wahl bedeuten. Umgekehrt verhält es sich mit 
Horst Köhler und Guido Westerwelle: Beide wirken bisweilen wie Hasen,
die sich eine Löwenmähne umgehängt haben. Ihr anhaltendes Gebrüll 
steht im erschreckenden Widerspruch zu seiner Wirkungslosigkeit.
Die Klage über das Versagen der Eliten ist alt und immer richtig. 
1992 verfasste der SPD-Politiker Peter Glotz mit CDU-Kollegin Rita 
Süßmuth das Werk "Die planlosen Eliten". Diagnose: Ökonomische und 
kommunikative Inkompetenz ergeben Führungsversagen - Generalkritik 
ist Nicken stets gewiss. Die spannendere Frage aber lautet: Welche 
Alternative bietet sich dem Spitzenpersonal? Wohin löwenartiges 
Regieren führt, hat Merkels Vorgänger erfahren. Zwar hat 
Basta-Schröder das historische Hartz-Paket durchgesetzt - aber teuer 
bezahlt, mit Machtverlust plus SPD-Erosion. Schröders Nachfolger 
wissen: Löwen sind theoretisch gewünscht, werden aber praktisch nie 
belohnt. Die Elite ist eben keine isoliert agierende Kaste, sondern 
vielmehr Abbild der Kundschaft. Würde Ehrlichkeit zu Wahlerfolgen 
führen, wären Politiker die ersten, die ihren Stil änderten.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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