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Berliner Morgenpost: Die Grünen fliehen vor Lafontaine nach Jamaika - Leitartikel

Berlin (ots)

Vielleicht wird eines Tages in den
Geschichtsbüchern erklärt, wie viel Zufall und wie viel Überlegung 
bei den Entscheidungen Oskar Lafontaines im Spiel waren. Klar ist 
schon heute: Die Folgen sind fast immer beträchtlich - aber 
machtpolitisch nicht immer zu Ende gedacht. 1995 stürzte der 
Saarländer den glücklosen SPD-Chef Scharping und bereitete jenes 
Erfolgsduett aus "Innovation und Gerechtigkeit" mit Gerhard Schröder 
vor, mit dem die SPD plus Grüne zurück an die Macht im Bund gelangte.
Wenig später trollte sich der Kurzzeitfinanzminister und fügte der 
SPD damit jenen Riss zu, den er mit Gründung der Linkspartei zu einem
Canyon weitete. Am Ende stand das demütigende Resultat der 
Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2009, aber auch die 
zementierte Opposition zweier verwirrter Parteien ohne 
Machtperspektive. Das Führungsvakuum der Linkspartei unter dem 
clownesk-gespenstischen Gregor Gysi wird schon bald offensichtlich.
Als habe er seine Mission erfüllt, trollt sich Lafontaine nun wieder 
und verursacht erneut beträchtliche Kollateralschäden. Denn mit 
seiner Rückkehr an die Saar verhindert Lafontaine ausgerechnet in 
seinem Heimatland das erste rot-rot-grüne Bündnis im Westen. Keine 
Frage, Lafontaines diabolischer Faktor beflügelte die Entscheidung 
der Saar-Grünen, lieber das kulturell ungewohnte Jamaikabündnis zu 
riskieren, als sich von "Lafos" Linken nasführen zu lassen.
Es ist schon Ironie für Feinschmecker, wenn ausgerechnet einer der 
begnadetsten Populisten der Republik machtpolitisches 
Strategievermögen eines Kreisligisten demonstriert. Denn Lafontaine 
treibt die Grünen geradezu aus dem gelernten linken Lager in die 
Mitte und ermöglicht dem einstigen Partner nun, seine Machtoptionen 
auszuweiten.
Nur in der Mitte wird die dramatisch verbürgerlichte Öko-Partei 
dauerhaft erfolgreich sein. Ob Atomkraft, Klimaschutz, Gentechnik 
oder gutes Essen - grüne Kernthemen sind ebenso in den Reihenhäusern 
der Republik angekommen wie das Personal. Trittin, Künast, Roth, 
Özdemir sind keine Schreckgespenster, sondern gehören zum Inventar 
von Talk und "Tagesschau".
Bis zu Merkel ist es nicht mehr weit. Nur mal angenommen, die FDP 
erfüllt die gigantischen Erwartungen nicht, die derzeit auf ihr 
lasten, und manövriert sich bis 2013 wieder unter zehn Prozent. Dann 
stünden die Grünen als Koalitionspartner der Union bereit, sofern sie
noch ein Paar Prozente in der linksliberalbürgerlichen Mitte dazu 
gewinnen. Dafür werden die Streithähne von SPD und Linkspartei schon 
sorgen. Und Jamaika kann ja durchaus auch ein Modell sein. Im 
Saarland wird nun erstmals jener lange tabuisierte Grenzübertritt 
probiert, gleichsam als Experiment für das ganze Land.
Verlassen die Grünen aber das linke Lager, schwinden die künftigen 
Chancen von SPD und Linken dramatisch. Ausgerechnet Lafontaine wird 
womöglich eines Tages als Vorbereiter dieser neuen bürgerlichen 
Mehrheit wahrgenommen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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