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Polyneuropathie – Wenn die Nerven verrücktspielen

Polyneuropathie – Wenn die Nerven verrücktspielen
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Polyneuropathie – Wenn die Nerven verrücktspielen

Stellen Sie sich vor: Schon beim Aufstehen oder nach wenigen Schritten wird Ihnen schwindelig, die Füße fühlen sich taub an und beginnen zu kribbeln. Oder Sie entdecken plötzlich kleinere Verletzungen wie Schnittwunden oder Brandblasen, ohne zu wissen, wie sie entstanden sind – weil Schmerzen oder Temperaturempfindungen in den Füßen und Händen gar nicht mehr wahrgenommen werden. Auch Muskelkrämpfe oder zunehmende Muskelschwäche können hinzukommen. Was wie ein Albtraum klingt, ist für etwa fünf Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens bittere Realität, wobei die Wahrscheinlichkeit an Polyneuropathie zu erkranken mit zunehmendem Alter kontinuierlich steigt – bis zu 35 % ab einem Alter von 80 Jahren.

Im Interview erläutert Dr. Clemens Eickhoff, Facharzt für Neurologie und Ärztlicher Leiter am Medizinischen Versorgungszentrum Kassel von Helios Ambulant was Polyneuropathie ist, welche Ursachen und Symptome die Erkrankung hat, wie sie diagnostiziert wird und welche aktuellen Behandlungsmethoden es gibt.

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, also der Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen. Diese Nerven sind dafür verantwortlich, Berührungen, Temperatur oder Schmerzempfindungen wahrzunehmen und Bewegungen der Muskeln zu steuern. Bei einer Polyneuropathie sind mehrere periphere Nerven geschädigt. Dadurch ist die Weiterleitung von Signalen zwischen Gehirn, Rückenmark und den übrigen Körperregionen beeinträchtigt – sowohl in Richtung der Gliedmaßen als auch zurück zum zentralen Nervensystem. In der Folge kann es zu Symptomen wie Kribbeln, Taubheitsgefühlen oder Schmerzen kommen, die typischerweise in den Füßen beginnen und sich allmählich ausbreiten. Bei Betroffenen, die an einer Polyneuropathie leiden, ist nicht nur ein einzelner Nerv, sondern mehrere Nerven oder im schlimmsten Fall das ganze Nervensystem geschädigt.

Welche Ursachen hat Polyneuropathie?

Häufig ist Diabetes die zugrundeliegende Ursache für eine Polyneuropathie. Ein hoher Blutzuckerspiegel schädigt die Nerven. Ebenso kann langfristiger Konsum von toxischen Substanzen wie Alkohol eine Neuropathie verursachen, da diese das empfindliche periphere Nervensystem angreifen und die Schutzschicht (Myelinschicht) der Nervenfasern oder die Nervenfasern (Axone) selbst schädigen.

Zu weiteren Auslösern zählen Infektionen, beispielsweise Borrelien oder Herpes zoster Viren. Eine weitere Ursache kann eine Autoimmunreaktion sein, bei der das Immunsystem die eigenen Nerven angreift, was beispielsweise beim Guillain-Barré-Syndrom oder bei der chronisch inflammatorisch demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)zu beobachten ist. Stoffwechselkrankheiten und Vitaminmangel sind seltener verantwortlich, während in einigen Fällen auch erbliche Formen der Polyneuropathie vorliegen können. Gar nicht so selten sind zudem Medikamente, insbesondere Chemotherapie bei Krebserkrankungen als Auslöser teils schwerer Nervenschädigungen. Häufig spielen aber auch Alterungsprozesse eine Rolle. Insgesamt bleibt bei über 30 % der Betroffenen die Ursache jedoch unklar, weshalb die Behandlung sich hauptsächlich auf die Linderung der Symptome konzentriert.

Was sind typische Symptome der Polyneuropathie?

Die Symptome variieren je nach betroffenem Nerventyp und können sehr unterschiedlich sein. Bei Schäden an den sensiblen Nerven, die für die Übermittlung von Informationen von der Haut zum Gehirn verantwortlich sind, treten oft stechende oder brennende Schmerzen auf. Betroffene haben das Gefühl, als ob tausende Ameisen über ihre Haut krabbeln. Manchmal entwickeln Patienten auch eine Überempfindlichkeit, bei der selbst leichte Berührungen (Allodynie) schmerzhaft sein können.

Die Schädigung der kleinen Nervenfasern, die Schmerz-, Temperatur- und Berührungsempfindungen vermitteln, führt dazu, dass Betroffene Hitze, Kälte und Schmerzen nur noch abgeschwächt oder gar nicht mehr wahrnehmen. Oft treten zusätzlich Taubheitsgefühle auf, insbesondere in Händen und Füßen, sodass sich die Haut pelzig oder fremd anfühlt. Dadurch steigt die Verletzungsgefahr erheblich: So kann zum Beispiel nicht mehr zuverlässig einschätzt werden, ob das Wasser beim Baden oder Duschen zu heiß ist oder ob heiße Untergründe Verbrennungen verursachen. Kleine Verletzungen wie Schnittwunden, Brandblasen oder Druckstellen bleiben häufig unbemerkt und werden erst spät entdeckt. In der Folge steigt das Risiko für Entzündungen oder chronische Wunden.

Sind motorische Nerven betroffen, die für die Muskelsteuerung verantwortlich sind, können die Impulse, die die Muskeln zum Bewegen anregen, nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Dies führt zu Muskelschwäche oder Lähmungen, besonders in den Beinen und Füßen, in manchen Fällen sind auch die Arme und Hände betroffen. Manchmal kommt es auch zu schmerzhaften Muskelkrämpfen. Langfristig kann es durch die fehlende Nutzung der Muskeln zu einem Abbau der Muskelmasse kommen, was die Bewegungsfähigkeit weiter einschränkt.

Schäden an den autonomen Nerven, die das vegetative Nervensystem steuern, können Kreislaufprobleme wie Schwindel oder Ohnmacht beim Aufstehen verursachen. Auch die Verdauung kann beeinträchtigt sein, was zu Symptomen wie Verstopfung, Durchfall oder Inkontinenz führen kann. Probleme mit der Blase, darunter Blasenschwäche oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen, sind ebenfalls möglich.

Wie geht man im Alltag mit eingeschränktem Temperatur- und Schmerzempfinden um?

Im Alltag helfen vor allem Vorsorge und aufmerksame Selbstkontrolle, um Verletzungen zu vermeiden und frühzeitig zu erkennen.

Eine zentrale Rolle spielt eine gründliche Körperkontrolle. Besonders Füße und Hände brauchen Aufmerksamkeit: Gibt es Rötungen, kleine Schnitte oder Druckstellen? Ein Handspiegel kann helfen, schwer einsehbare Stellen zu überprüfen. Auch passende, weiche Schuhe sind ein Muss – harte Nähte oder enge Modelle können unbemerkt Blasen verursachen. Zudem sollten die Schuhe vor dem Anziehen auf Steinchen, Knicke oder Fremdkörper kontrolliert werden. Auf Barfußlaufen – ob drinnen und draußen – sollte verzichtet werden, da Verletzungen durch spitze Gegenstände und auf unebenen oder heißen Oberflächen oft nicht bemerkt werden.

Auch im Umgang mit Hitze und Kälte ist Vorsicht geboten. Wassertemperaturen sollten stets mit einem Thermometer geprüft werden, da ein zu heißes Bad oder eine heiße Dusche schnell Verbrennungen verursachen kann. Auf Wärmflaschen oder Heizdecken sollte ganz verzichtet werden, um Überhitzungen zu vermeiden. Im Winter wiederum helfen warme Handschuhe und gut isolierte Schuhe, Erfrierungen vorzubeugen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die richtige Hautpflege. Trockene Haut bietet Keimen eine Angriffsfläche. Regelmäßiges Eincremen hält die Haut geschmeidig und schützt vor kleinen Rissen. Bei Auffälligkeiten – etwa Wunden oder Entzündungen – sollte frühzeitig ärztlicher Rat eingeholt werden. Eine regelmäßige medizinische Fußpflege (Podologie) wird bei vielen Polyneuropathie-Patienten sogar von der Krankenkasse übernommen, um Probleme frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Wie wirkt sich Polyneuropathie auf die Sexualität aus?

Polyneuropathie kann dazu führen, dass Männer und Frauen unter sexuellen Funktionsstörungen leiden, weil die Erkrankung die Nerven schädigt, die für Empfindungen und Steuerung von Körperfunktionen zuständig sind – darunter auch die Nerven, die an der sexuellen Reaktion beteiligt sind.

Bei Männern kann es dadurch schwieriger werden, eine Erektion zu bekommen oder aufrechtzuerhalten, da die Nervensignale nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Frauen spüren oft eine geringere Empfindlichkeit im Intimbereich, was die Erregung und den Orgasmus beeinträchtigen kann. Auch Trockenheit kann auftreten, wodurch der Geschlechtsverkehr unangenehm wird.

Zusätzlich kann die Erkrankung die Durchblutung verschlechtern, was die sexuelle Reaktionsfähigkeit weiter einschränkt. Neben den körperlichen Ursachen spielt auch die psychische Belastung eine Rolle – Schmerzen oder Unsicherheiten durch die Erkrankung können die Lust verringern.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um sexuelle Probleme bei Polyneuropathie zu behandeln. Ein offenes Gespräch mit dem behandelnden Arzt – idealerweise einem Neurologen oder Sexualmediziner – ist oft der erste und wichtigste Schritt zu einer individuell passenden Therapie.

Wie wird Polyneuropathie diagnostiziert?

In einem ausführlichen ärztlichen Gespräch werden zunächst die Beschwerden, betroffene Körperstellen, Vorerkrankungen sowie der Konsum von Alkohol, Drogen oder Medikamenten abgeklärt. Es folgt eine körperliche Untersuchung, die Reizempfinden, Geh- und Stehvermögen, Muskelstärke und Reflexe prüft. Ergänzt wird die Diagnostik durch eine Elektroneurographie (ENG), die die Weiterleitung der Nervenimpulse misst. Eine Elektromyographie (EMG) testet, wie die Muskeln auf Nervenimpulse reagieren. In einigen Fällen ist auch eine Lumbalpunktion erforderlich, bei der über eine dünne Nadel Nervenwasser aus dem Spinalkanal abgelassen wird, um dieses auf evtl. Entzündungen oder einen erhöhten Liquoreiweiß (Eiweißgehalt im Nervenwasser) als Ursache der Polyneuropathie zu untersuchen. Gelegentlich ist auch die Entnahme von Gewebeproben aus einem Nerv und einem Muskel notwendig oder eine genetische Testung sinnvoll.

Welche Behandlungsmethoden gibt es?

Die Behandlung der Polyneuropathie erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die zugrunde liegende Ursache als auch die Symptome berücksichtigt. Zwar ist die Erkrankung nicht heilbar, doch eine frühzeitige Diagnose und eine individuell abgestimmte, kontinuierliche Therapie können das Fortschreiten der Erkrankung stoppen oder zumindest verlangsamen, die Beschwerden deutlich lindern und die Lebensqualität verbessern.

Liegt die Polyneuropathie beispielsweise an einem schlecht eingestellten Diabetes, ist es wichtig, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten. Das gelingt durch eine angepasste Ernährung, ausreichend Bewegung und gegebenenfalls eine medikamentöse Therapie. Wenn eine Entzündung im Körper die Nervenschädigung verursacht, kann eine Therapie mit Antibiotika oder eine antivirale Medikation helfen. Bei einer Autoimmunentzündung können hingegen Cortison oder Immunglobuline indiziert sein. Ist Alkohol der Auslöser, gibt es nur eine Lösung: konsequenter Verzicht. Auch Vitaminmangel kann eine Rolle spielen – dann kann eine gezielte Ernährungsumstellung oder die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln notwendig sein, wobei aber auch hier eine Überdosierung von z.B. Vitamin B6 vermieden werden sollte. Bei einzelnen genetisch bedingten Polyneuropathien zeichnen sich auch gentherapeutische Optionen ab.

Neben der Ursachenbehandlung spielt die Linderung der Beschwerden eine wichtige Rolle. Besonders belastend sind oft die Schmerzen. Hier helfen spezielle Medikamente, die ursprünglich gegen Epilepsie oder Depressionen entwickelt wurden, aber auch gegen Nervenschmerzen wirksam sind. Sie wirken, indem sie die Weiterleitung der Schmerzsignale im Nervensystem dämpfen.

Im Alter treten häufig zusätzliche Erkrankungen zur Polyneuropathie auf, was zu einer multifaktoriellen Gangstörung führen kann. Begleitende Diagnosen wie Arthrose der Gelenke oder eine lumbale Spinalkanalstenose (Verengung des Rückenmarkskanals) sind dabei keine Seltenheit. Umso wichtiger ist es, die Mobilität möglichst lange zu erhalten. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen Maßnahmen der physikalischen Therapie: Physiotherapie, Gleichgewichts- und Gehtraining sowie gelenkschonende Sportarten wie Aqua-Fitness. Sie helfen dabei, Beweglichkeit, Kraft und Gleichgewicht zu verbessern. Bei starkem Kraftverlust oder einem unsicheren Gang können spezielle Schienen oder orthopädische Einlagen zusätzliche Stabilität bieten. Ein sicheres Wohnumfeld mit rutschfesten Böden, ausreichender Beleuchtung und Entfernen von Stolperfallen wie losen Teppichen trägt zudem wesentlich zur Sturzprävention bei. Auch im Freien sollte auf festes Schuhwerk, Gehhilfen, gut beleuchtete Wege und die Vermeidung glatter oder unebener Flächen geachtet werden.

Wo kann man Unterstützung finden?

Polyneuropathie stellt nicht nur eine körperliche, sondern auch eine seelische Herausforderung dar. Achtsame Selbstfürsorge, therapeutische Begleitung und kleine Veränderungen im Alltag können helfen, Lebensqualität zu bewahren. Der Austausch mit anderen Betroffenen – etwa über Selbsthilfegruppen wie die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e.V. – stärkt zusätzlich. Weiterführende Informationen bietet die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) unter www.dgm.org. Wichtig ist: Man ist mit seinen Beschwerden nicht allein – und es gibt Wege, wieder mehr Lebensqualität zu gewinnen.

Helios gehört zum Gesundheitskonzern Fresenius und ist Europas führender privater Gesundheitsdienstleister mit rund 128.000 Mitarbeitenden. Zu Fresenius Helios gehören die Helios Gruppe in Deutschland sowie Quirónsalud in Spanien und Lateinamerika. Rund 26 Millionen Menschen entscheiden sich jährlich für eine medizinische Behandlung bei Helios. 2024 erzielte das Unternehmen einen Gesamtumsatz von mehr als 12,7 Milliarden Euro.

In Deutschland verfügt Helios über mehr als 80 Kliniken, rund 220 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit etwa 570 kassenärztlichen Sitzen, sechs Präventionszentren und 27 arbeitsmedizinische Zentren. Helios behandelt im Jahr rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland, davon mehr als 4 Millionen ambulant. Seit seiner Gründung setzt Helios auf messbare, hohe medizinische Qualität und Datentransparenz und ist bei 89 Prozent der Qualitätsziele besser als der bundesweite Durchschnitt. In Deutschland beschäftigt Helios rund 78.000 Mitarbeitende und erwirtschaftete im Jahr 2024 einen Umsatz von rund 7,7 Milliarden Euro. Sitz der Unternehmenszentrale ist Berlin.

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Pressekontakt:
Annette Kary
Referentin Unternehmenskommunikation & Marketing
Helios Versorgungszentren GmbH
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E-Mail:  annette.kary@helios-gesundheit.de