Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Stellungnahme von Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa
Stellungnahme von Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa
Der 8./9. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa - ein Tag, an dem die von Deutschland überfallenen Völker Europas vom Terror des nationalsozialistischen Regimes befreit wurden. In Deutschland wurde das Kriegsende jedoch nur von einer Minderheit als Befreiung erlebt: von den Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, also den aus rassischen Gründen Entrechteten und zur Ermordung Vorgesehenen, von den nach Deutschland verschleppten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern sowie von jenen Frauen und Männern, die aus politischer oder religiöser Überzeugung, in Distanz oder im Widerstand das NS-Regime in Konzentrationslagern, Zuchthäusern oder in der inneren Emigration überlebt hatten. Für die meisten Deutschen bedeutete der 8. Mai Zusammenbruch, Niederlage und eine ungewisse Zukunft.
In der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR wurde der 8./9. Mai von Anfang an als „Tag der Befreiung“ gefeiert und staatlich inszeniert. Die SED-Propaganda zielte dabei nicht auf eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld, sondern auf die Legitimation der neuen kommunistischen Ordnung. In der Bundesrepublik wurde das Gedenken an das Kriegsende seit den 1960er Jahren zunehmend kontrovers diskutiert. Es bedurfte der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Jahr 1985, um den 8. Mai 1945 in seiner Ambivalenz in der westdeutschen Erinnerungskultur zu verankern: als Datum der Niederlage und Ausgangspunkt von Flucht, Vertreibung und staatlicher Teilung, aber auch als Datum der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur, in deren Folge sich Westdeutschland zu einer wohlhabenden, freiheitlichen Demokratie entwickelte, die sich mit ihren Nachbarn aussöhnen konnte.
Dass der 8. Mai 1945 für die Menschen in Ostmitteleuropa ein ausgesprochen janusköpfiges Datum war, geriet dabei vielen Menschen im Westen aus dem Blick. Zwar beendete der Einmarsch der Sowjets dort die nationalsozialistische Okkupation, doch das Momentum der Befreiung währte nur kurz. Spätestens ab 1948 wurden die demokratischen Ansätze in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und den anderen Staaten des erweiterten sowjetischen Einflussbereichs durch die Errichtung kommunistischer Satellitenregime erstickt. Besonders grausam zeigte sich die Dialektik von Befreiung und Unterdrückung im Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und verschleppten Zwangsarbeiter, die nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion als Verräter oder Überläufer gebrandmarkt wurden. Für viele bedeutete dies Lagerhaft, gesellschaftliche Ächtung oder Tod - sie lebten fortan in noch größerer Unfreiheit als die ohnehin entrechtete sowjetische Bevölkerung.
Der 8. Mai mahnt zur historischen Genauigkeit. Er ist ein Tag der Dankbarkeit gegenüber den alliierten Streitkräften, die das nationalsozialistische Regime militärisch bezwangen und dabei einen immensen Blutzoll entrichteten – allen voran die Sowjetunion. Er ist ein Tag der Demut angesichts der von Deutschen begangenen Verbrechen. Er ist aber auch Anlass, die vielschichtigen und zum Teil widersprüchlichen Erfahrungen Europas im Jahr 1945 zu benennen – insbesondere derer, für die das Kriegsende den Übergang von einer Gewaltherrschaft in eine neue bedeutete. Die Erinnerung an das Kriegsende muss diese doppelte historische Realität sichtbar machen. Das ist und bleibt Aufgabe der Aufarbeitung.
Jonathan Harnisch
Pressereferent
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