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Verfassungsschutz entscheidet auf Basis des Grundgesetzes

Berlin (ots)

Nachdem der Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung in Deutschland als rechtsextremistisch eingestuft hat, werfen einige dem Inlandsgeheimdienst vor, er habe damit das «Grundgesetz für verfassungsfeindlich» erklärt. In einem auf mehreren Portalen veröffentlichten Beitrag behauptet etwa die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, künftig sei «rechtsextrem, wer es wagt, auf die Einhaltung des Grundgesetzes zu bestehen» (http://dpaq.de/TGNE7).

BEWERTUNG: Diese Schlussfolgerung ist abwegig. Der Verfassungsschutz stuft die Identitären als verfassungsfeindlich ein, gerade weil deren Ansichten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

FAKTEN: Nach mehrjähriger Prüfung hat der Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung (IB) in Deutschland im Juli 2019 als rechtsextremistisch eingestuft. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, erklärte: Ihre Anhänger «reden von Überfremdung, erhöhen ihre eigene Identität, um andere abzuwerten und schüren gezielt Feindbilder». Ansichten der IB sind aus Sicht des Verfassungsschutzes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (http://dpaq.de/omx9c).

Die Publizistin Vera Lengsfeld wirft dem deutschen Inlandsgeheimdienst in ihrem Text vom 12. Juli (http://dpaq.de/TGNE7) Verfassungsfeindlichkeit vor, weil er für seine Einstufung «als Beweis» angeblich eine Aktion mit dem Titel «Grundgesetz statt Scharia» aufführe. Sie fügt hinzu: «Was wie schlechte Satire oder Verleumdung einer der wichtigsten staatlichen Institutionen klingt, ist tatsächlich im Bericht nachzulesen».

In welchem «Bericht» dieser Sachverhalt «tatsächlich nachzulesen» ist, macht die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin nicht klar. Dass es sich um den jährlichen Verfassungsschutzbericht handelt, ist ausgeschlossen. Denn in der jüngsten Ausgabe vom 27. Juni 2019 - wenige Tage vor der Einstufung der IB als «gesichert rechtsextremistische Bestrebung» - wird die Bewegung noch als Verdachtsfall geführt.

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilt Lengsfeld am 16. Juli 2019 per Mail lediglich mit: «Mit Bericht meine ich die Begründung, die der Verfassungsschutz für die Einstufung der Identitären als rechtsextrem gegeben hat.» Diese liege ihr in Papierform vor.

Wahrscheinlich zieht die Autorin ihre Schlussfolgerung aus einer Pressemitteilung, die das BfV am 11. Juli 2019 zu den Vorgängen um die IB veröffentlichte: http://dpaq.de/omx9c. Allerdings ist darin keine Aktion mit dem Titel «Grundgesetz statt Scharia» genannt.

Den Slogan «Grundgesetz statt Scharia» soll die IB nach einem Bericht der Zeitung «Welt» (http://dpaq.de/WpsEl) vielmehr auf einem Banner während einer Kampagne mit dem Titel «Stop Fatih» gezeigt haben.

Im Internetauftritt der Bayern-Sektion der IB sind mehrere Fotos mit dem Banner zu sehen (http://dpaq.de/PrmGK).

Die Kampagne «Stop Fatih» führt das BfV in seiner Pressemitteilung tatsächlich als einen der Beweise dafür an, dass die Positionen der IB nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Die IB Bayern selbst spricht im Zusammenhang mit «Stop Fatih» (http://dpaq.de/jqLm1) unter anderem über einen angeblichen «Bevölkerungsaustausch» - ein Begriff, den der Verfassungsschutz schon länger als «rechtsextremistisches Ideologieelement» betrachtet (http://dpaq.de/bqfxn).

Aus der Beurteilung der Kampagne durch den Verfassungsschutz zu schließen, das BfV habe mit dem Slogan «Grundgesetz statt Scharia» auch das Grundgesetz selbst als verfassungsfeindlich eingestuft, ist abwegig.

Der Geheimdienst stellt in seiner Pressemitteilung fest, dass die Positionen der Identitären darauf abzielten, «Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren». Demnach könnten «Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen» aus Sicht der Identitären «niemals Teil einer gemeinsamen Kultur» sein.

Das wiederum stellt Lengsfeld in ihrem Text in Abrede. Dies sei «glatt gelogen», denn nirgends finde sich in den Äußerungen der Identitären ein Beweis dafür.

Das ist falsch: Der Chef der österreichischen IB, Martin Sellner, spricht etwa von «ethnokultureller Identität» und stellt klar, dass eine «Homogenität substanziell (Religion, Geschichte, Kultur, Herkunft, etc.) sein muss» (http://dpaq.de/YPSKx). Auch die IB Deutschland spricht auf ihrer Homepage von einer «ethnokulturellen Identität» und warnt vor einem «Großen Austausch» der Bevölkerung (http://dpaq.de/yJfzF).

Die jüngste Einstufung der IB bedeutet, dass der Verfassungsschutz für die Beobachtung der Organisation mit ihren geschätzt rund 600 Mitgliedern das komplette Instrumentarium an nachrichtendienstlichen Mitteln nutzen darf. Dazu zählen beispielsweise die Observation und die Anwerbung von Informanten.

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Links:

Text von Vera Lengsfeld über Verfassungsschutz vom 12.7.2019: https://vera-lengsfeld.de/2019/07/12/verfassungsschutz-erklaert-grundgesetz-fuer-verfassungsfeindlich/ (archiviert: http://dpaq.de/TGNE7)

Pressemitteilung des BfV zur IB-Einstufung vom 11.7.2019: https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/presse/pm-20190711-bfv-stuft-ibd-als-gesichert-rechtsextremistische-bestrebung-ein

dpa-Meldung über IB-Beobachtung (via «zeit.de») vom 11.7.2019: http://dpaq.de/1EKfS

«Welt»-Artikel über IB-Beobachtung vom 11.7.2019: https://www.welt.de/politik/deutschland/article196689527/Verfassungsschutz-stuft-Identitaere-Bewegung-als-rechtsextremistisch-ein.html

IB Bayern mit Banner «Grundgesetz statt Scharia»: https://www.ib-bayern.de/aktivitaeten/grundgesetze-f%C3%BCr-eroberer-der-islam-und-die-fdgo

IB Bayern über Kampagne «Stop Fatih»: https://www.ib-bayern.de/stopfatih

Sellner über «kulturelle Homogenität»: https://twitter.com/Martin_Sellner/status/1134547632838369280

IB Deutschland über «ethnokulturellen Identität»: https://www.identitaere-bewegung.de/faq/warum-seid-ihr-gegen-einwanderung/

Verfassungsschutz über «Bevölkerungsaustausch»: https://www.verfassungsschutz.de/de/aktuelles/schlaglicht/schlaglicht-2019-02-auswirkungen-des-terroranschlags-in-christchurch-neuseeland-auf-die-deutsche-rechtsextremistische-szene

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Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com

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