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Deutschland will 10 200 Flüchtlinge über UN-Programm aufnehmen, nicht 1,4 Millionen

Auf der Webseite "unzensuriert.at" wird davor gewarnt, dass ein "neuer Flüchtlingswahnsinn" geplant sei. "Mindestens 1,4 Millionen" würden darauf warten, nach Deutschland zu reisen. Bebildert ist diese Aussage mit einem Frachter. Auf dem Schiff und im Hafengebiet davor sind Tausende Menschen zu sehen (http://dpaq.de/e2Rpr).

BEWERTUNG: In dem zugrundeliegenden Artikel der "Welt" ist nirgends die Rede davon, dass 1,4 Millionen Flüchtlinge auf die Reise nach Deutschland warten. Zudem ist das Foto Jahrzehnte alt und hat keinen aktuellen Bezug.

FAKTEN: Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR brauchen rund 1,4 Millionen Flüchtlinge weltweit ein sogenanntes Resettlement (englisch für Umsiedlung). Gemeint ist damit, dass sie laut UNHCR besonders schutzbedürftig sind und deshalb aus ihrem aktuellen Aufnahmestaat - etwa Ägypten oder Libyen - in sicherere Länder gebracht werden sollten. Unter anderem hatte am 7. Mai 2019 die "Welt" darüber berichtet (http://dpaq.de/HCxz5).

Wie viele Resettlement-Flüchtlinge sich in einem neuen Staat ansiedeln dürfen, bestimmt dieses Land selbst. Deutschland will nach Angaben des Bundesinnenministeriums in den Jahren 2018 und 2019 zusammen über das Resettlement-Programm 10 200 Flüchtlinge aufnehmen, also weniger als ein Prozent der aktuell Schutzbedürftigen. "Auf jeden Fall hat niemand vor - nicht das UNHCR und ganz bestimmt auch nicht die Bundesregierung - sie alle nach Deutschland zu bringen", erklärte UNHCR-Sprecher Chris Melzer jüngst der Deutschen Presse-Agentur.

Im Artikel auf "unzensuriert.at" wird der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Dominik Bartsch, falsch zitiert: Er soll vermeintlich gesagt haben, dass 1,4 Millionen Menschen "explizit auf einen freien Platz in Deutschland warten" würden. Doch spricht Bartsch im verlinkten "Welt"-Bericht überhaupt nicht von Deutschland.

Deutschland hat auch in den vergangenen Jahren nicht die meisten Resettlement-Flüchtlinge übernommen. Die Hauptaufnahmeländer 2018 waren - mit großem Abstand - die USA und Kanada (http://dpaq.de/jnPIk).

Dass die Betroffenen tatsächlich Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention sind, hat das UNHCR schon anerkannt. Dennoch untersuchen die designierten Aufnahmeländer, ob sie die Menschen wirklich aufnehmen wollen oder nicht. "Deutschland prüft die Akten, schickt aber trotzdem nochmal Beamte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der Bundespolizei in das gegenwärtige Aufnahmeland", sagte Melzer. "Dort befragen sie die Kandidaten noch einmal, und die Bundespolizei macht einen Sicherheits-Check."

Darüber hinaus ist das Foto in dem "unzensuriert"-Artikel aus dem Kontext gerissen - und Jahrzehnte alt. Die abgebildeten Menschen sind weder unterwegs nach Deutschland, noch warten sie auf eine solche Reise. Auf dem Foto sieht man vielmehr den albanischen Frachter "Vlora", der am 8. August 1991 im süditalienischen Bari festmachte. Es wurde von dem Fotografen Luca Turi aufgenommen und von der Nachrichtenagentur Associated Press verbreitet.

An Bord waren etwa 10 000 albanische Auswanderer, darunter Verletzte, schwangere Frauen, Kinder. Sie wurden innerhalb von zwei Wochen mit Schiffen und Flugzeugen zurück nach Albanien gebracht. Unter anderem gab es über die "Vlora" Artikel in der "Neuen Zürcher Zeitung" (http://dpaq.de/swUma) und beim WDR (http://dpaq.de/Qph17).

In der Vergangenheit wurde bereits verschiedene Motive der Ankunft der "Vlora" in einen falschen Zusammenhang gestellt. Darüber hatten bereits die Faktenchecker von "correctiv.org" berichtet (http://dpaq.de/iRx0o).

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Links:

- UNHCR-FAQ über Resettlement: http://dpaq.de/S70KC

- UNHCR über Resettlement-Flüchtlinge 2018: http://dpaq.de/jnPIk

- UNHCR über weltweiten Bedarf an Resettlement-Plätzen: http://dpaq.de/LRnEE

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Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com

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