Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Türkei

21.07.2016 – 21:30

Bielefeld (ots)

Wie soll in der Türkei je wieder ein freiheitlicher Rechtsstaat entstehen? Erdogan und seine fanatisierten Anhänger werden ihre Macht nie mehr freiwillig abgeben. Sie werden nie wieder kritische Medien mit nennenswerter Reichweite zulassen. Sie werden nie wieder Oppositionsparteien auch nur in die Nähe der Macht kommen lassen. Unter dem Chiffre »Gülen-Bewegung« kann man jeden verdächtigen. Und selbst wenn der Potentat, den man nun endgültig Diktator nennen muss, irgendwann einmal abtritt, wird eine Systemkorrektur nicht ohne Blutvergießen gelingen. Dazu ist zu viel Gewalt in Reden, Denken und Handeln geweckt worden. Erdogan hat Demokratie immer als das rücksichtslose Durchsetzen eigener Interessen mit Volksunterstützung verstanden. Aber Demokratie braucht Grundrechte, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz. Und zwar als unverrückbare Prinzipien. Gerade in einer Staatskrise. Dass Putschisten verfolgt werden, widerspricht dem überhaupt nicht. Nur: In einem Rechtsstaat muss auch jeder Putschist einen unabhängigen Richter bekommen. Und jeder, der aus dem Justiz- und Schuldienst entlassen wird, muss dagegen klagen können. Was aber, wenn es keine unabhängigen Richter mehr gibt? Große Besorgnis über die Entwicklung hört man bei Kanzlerin und Außenminister, viele Mahnungen zur Verhältnismäßigkeit. Das kleine Österreich hingegen bestellt den türkischen Botschafter ein. Auch das ist nur ein hilfloses Symbol, aber immerhin ein Symbol für: Wir akzeptieren Eure unverhältnismäßigen Rechtstaatsverletzungen nicht. Und wir akzeptieren erst Recht nicht, wenn Ihr Euren Konflikt nun auch auf unseren Straßen austragt. Auch in Deutschland sollte man endlich viel konsequenter all jene belangen, die türkische Oppositionelle bedrohen, nicht nur im Internet, sondern teilweise mit direkter körperlicher Gewalt. Denn radikale AKP-Anhänger sind Feinde des Grundgesetzes. Man stehe am Scheideweg, heißt es in kritischen Situationen gern. In Bezug auf die Türkei wäre das viel zu positiv formuliert. Erdogan hat den Putschversuch für seinen ganz persönlichen Staatsstreich genutzt. Und damit seine Entscheidung gegen Europa gefällt. Man kann mit einem Diktator zwar noch einige Geschäfte machen. Aber es kann keine Nähe geben. Je eher man die Beitrittsverhandlungen stoppt und ebenso die angedachte Visafreiheit, umso besser für alle. Dann macht sich wenigstens niemand mehr Illusionen. Auf eine neue Flüchtlingswelle muss Europa sich ohnehin vorbereiten - es werden nun auch viele politisch verfolgte Türken kommen. Jedenfalls wird aus der Idee der CSU, die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu ernennen, wohl länger nichts werden.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

Orte in dieser Meldung
Weitere Storys: Westfalen-Blatt
Weitere Storys: Westfalen-Blatt
  • 20.07.2016 – 21:30

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Trump

    Bielefeld (ots) - Der »Frankenstein«-Kandidat hat das Ziel seiner Mission erreicht. Mit der offiziellen Nominierung auf dem Wahlparteitag der Republikaner hat Donald Trump seinen Schöpfer zerstört. Die Partei Abraham Lincolns, Ronald Reagans und George W. Bushs folgt nun einem Rattenfänger, der Amerikas Konservative in den Untergang führt. Selbst wenn Trump im ...

  • 20.07.2016 – 21:05

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den EU-Klimaschutzplänen

    Bielefeld (ots) - Europas Klimaschutz-Politik steckt in einem Dilemma: Seit Jahren gefällt man sich darin, immer neue Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, für Omnibusse und Lkw einzuführen. Doch von einem nennenswerten Rückgang der CO2-Emissionen kann keine Rede sein. Das Problem ist kaum zu lösen, weil die immer schärfer werdenden Auflagen naturgemäß ...

  • 19.07.2016 – 21:00

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Lkw-Kartell

    Bielefeld (ots) - Europas Kartellrecht gilt als eine der großen Stärken. Das aktuelle Beispiel praktisch aller Lkw-Hersteller in der Gemeinschaft zeigt: Es gäbe - außer der Brüsseler Wettbewerbsbehörde - niemanden, der EU-weite Preisabsprachen stoppen könnte. Dass die Brummi-Branche die Listenpreise ihrer Lkw-Züge um bis zu 20 Prozent künstlich verteuert hat, ...