Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Katrin Göring-Eckardt kritisiert die Positionen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zum Embryonenschutz

05.11.2003 – 19:54

Berlin (ots)

In einem Beitrag für den Tagesspiegel kritisiert
die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Katrin
Göring-Eckardt die Positionen von Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries zum Embryonenschutz. Göring-Eckardt wendet sich dabei
deutlich gegen die von Zypries vorgetragenene Position, wonach
Menschenwürde erst dem Embryo im Mutterleib zustehe. Die
Gleichzeitigkeit von Lebensbeginn und der Würde als Mensch bleibe die
einzige Möglichkeit, nicht beliebig zu werden.
In der Folge finden Sie den kompletten Beitrag:
Brigitte Zypries hat eine Debatte wiedereröffnet, die auch mit dem
Bundestagsbeschluss vom Januar 2002 nicht abgeschlossen war. Dennoch,
es hatte eine Ent-scheidung gegeben. Das Parlament hatte sich
insbesondere mit der Frage beschäftigt, wann die Menschenwürde
beginnt und daraus Schlüsse gezogen. Ist es wirklich nötig, schon
wieder neu zu diskutieren, infrage zu stellen? Es ist jedenfalls
legitim. Die Grundsatzfrage über den Beginn des menschlichen Lebens
und dem, was diesem Leben zugeschrieben wird, fand – zum Glück –
nicht statt, ohne immer wieder abzuwägen, welche Möglichkeiten
eröffnet, welche Risiken eingegangen werden, wenn man diese oder jene
Auslegung unserer Verfassung vornimmt. Die vordringliche Frage nach
der besseren Hilfe bei Krankheiten war den einen kein vorgescho-benes
Argument, von den anderen wurde sie nie leichtfertig vom Tisch
gewischt. Was kann wichtiger sein, als menschliches Leid wenigstens
zu mildern? Aber auch die Chancen des Forschungsstandorts Deutschland
sind nicht einfach für irrelevant zu erklären. Innovationen in
Forschung, in Bildung und Industrie sind un-verzichtbar für ein Land,
das wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen will. Es drängt sich
auf, den Gesundheitsbereich dabei ins Zentrum zu rücken, der derzeit
einzige Wachstumssektor, ein nahezu unbegrenztes Feld, um Neues und
Nützliches zu entwickeln. Gerade deswegen fand die Stammzellforschung
Befürworter. Neues ist immer mit Risiken verbunden, und ohne sie
einzugehen, kann nichts ent-stehen. Und dennoch: Wenn wir über unsere
Verfassung sprechen und das Gebot der Men-schenwürde, so ist das
nichts, was solchen normalen Abwägungsprozessen und politischem
Pragmatismus unterworfen sein kann. Es geht hier um die Grundfrage
unserer Werteordnung, und um das Menschenbild, von dem wir uns leiten
lassen – das Menschsein überhaupt. Wann ist der Mensch ein Mensch?
Der Bundestag hat sich für das einzig klare Kriterium entschieden –
die Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle. Jeder Versuch, diese
Grenze zu verschieben, birgt die Gefahr der Beliebigkeit. Daher fragt
Brigitte Zypries auch nicht, wann das Leben beginnt, sondern ab wann
ihm Menschenwürde zukommt. Sie unterscheidet zwischen Embryonen im
Rea-genzglas und im Mutterleib und möchte Menschenwürde nur letzteren
zusprechen. Denn dies setze die Möglichkeit der Eigenverantwortung
und der selbstbestimmten Lebensgestaltung voraus. Aber was ist mit
Wachkoma-Patienten, Schwerstbehinderten, Altersdementen? Und wenn es
hier explizit um Embryonen geht: Wollen wir wirklich Embryonen erster
und zweiter Klasse? Wer grundsätzlich bei der Einheit von Beginn des
Lebens und Beginn der Menschenwürde bleiben will, wird sich die Frage
gefallen lassen müssen, wie es um das Leben in Würde derer bestellt
ist, denen die Forschung ein besseres, ein gesünde-res Leben bereiten
könnte. Das gilt auch, wenn unterstellt wird, dass es genügend und
Erfolg versprechende andere Forschungsmöglichkeiten gibt. Die
Gleichzeitigkeit von Lebensbeginn und der Würde als Mensch bleibt die
einzige Möglichkeit, nicht beliebig zu werden. Wenn wir bei der wohl
wichtigsten Frage unserer Verfassung Ermessensspielraum gewähren,
dann hieße das, den Begriff „Mensch“ einmal so und einmal so zu
deuten. Wer über die Verschiebung dieser Grenze spricht, muss auch
sagen, wer die Autorität hat, die Grenze zu definieren. Es gibt nach
meiner Auffassung keine solche Autorität, keine menschliche, keine
staatliche, auch keine religiöse, die Menschenwürde zu- oder
aberkennen kann. Sie kann auch nicht mit den Interessen Dritter
abgewogen werden, weder von Eltern, noch der Forschung, noch derer,
die sich Hilfe und Heilung versprechen, noch der des Staates. Der
Mensch ist Mensch – weil er lebt.
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