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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Streit in der Großen Koalition Am Image feilen Alexandra JACOBSON, BERLIN

Bielefeld (ots)

Kann es etwas Schöneres geben, als gerade jetzt in Deutschland zu regieren? Noch nie waren die Bürger dieses Landes so zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung wie heute, hat der jüngste ARD-Deutschlandtrend offenbart. Und nur selten waren die Deutschen so rundum einverstanden mit der Besetzung im Kabinett. Die Bedingungen, sich mit "Vorfreude" in die Regierungsgeschäfte zu stürzen, wie es Regierungssprecher Steffen Seibert kürzlich bemerkte, sind also im Prinzip glänzend. Und doch verläuft dieser Start der Großen Koalition holprig, und das sicher nicht, weil sich Angela Merkel derzeit mit Krücken fortbewegt. Bevor richtig regiert wird, gibt es schon jede Menge Zoff. Obwohl der schwarz-rote Koalitionsvertrag im Vergleich zum schwarz-gelben viel detaillierter ausgefallen ist, existiert immer noch erstaunlich viel Raum für unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Interpretationen. Es geht um Ausnahmen vom Mindestlohn, um den Umgang mit der Zuwanderung, um ein Ja oder eher Nein zur Vorratsdatenspeicherung, um die Rente mit 63 mit unbegrenzter oder auf fünf Jahre begrenzter Arbeitslosigkeit. Auffallend an den Kontroversen ist, dass vor allem CSU und SPD an ihrem Image feilen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer besetzt mit dem ihm eigenen Populismus das Thema Zuwanderung und wird sich bis zur Kommunal- und Europawahl weiter darin verbeißen. Ein zündendes Thema hat auch die SPD gefunden. Nein, es ist nicht die Energiewende und nicht der Mindestlohn. Es geht um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Familienministerin Manuela Schwesigs Vorstoß für eine staatlich geförderte Elternzeit mit 32 Wochenarbeitsstunden ist nicht frei von Populismus, denn die Finanzierung steht in den Sternen, doch trotzdem elektrisiert die Idee und knüpft an vorhandene Bedürfnisse junger Eltern an. Der SPD-Teil in der Regierung präsentiert neue Gesichter und neue Gedanken. Dass sich die Umfragewerte der SPD vorsichtig nach oben schrauben, mag daran liegen. Laut Umfragen versprechen sich die Menschen vor allem in der Familienpolitik viel von der Großen Koalition. Das entsprechende Ressort liegt in den Händen der SPD. Hinter den Aktivitäten steckt natürlich auch Angst - die Sozialdemokraten wollen nicht wieder sang- und klanglos untergehen wie in der letzten Großen Koalition. Auch die CSU will auffallen- es wäre nicht das erste Mal, dass der kleinste Partner in einer Koalition am lautesten auftritt. Für die CDU werden die Herausforderungen größer. Der Eindruck aus den Koalitionsverhandlungen verfestigt sich: CSU und SPD sind die Parteien, die wirklich etwas wollen, während die CDU nur mitläuft im Getümmel. Auch personell läuft es nicht so richtig rund für die Christdemokraten. Der einstige Kabinettsstar Ursula von der Leyen kämpft im neuen Job noch mit grundsätzlichen Akzeptanzproblemen, die Personalie Ronald Pofalla sorgt für ein negatives Grundrauschen, und der Volkstribun Peter Altmaier muss nun ohne Publikum hinter dicken Mauern Akten wälzen. Wird aus den Positionskämpfen ein Dauerstreit erwachsen wie zu schwarz-gelben Zeiten? Vermutlich nicht. Dafür ist das schwarz-rote Personal zu professionell und die Unterschiede zwischen den Volksparteien letztlich doch nicht mehr so groß, wie die Rangeleien glauben machen.

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