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Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR 30. Jahrestag der Kanzlerwahl Helmut Kohls Europäer mit Makel THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Helmut Kohl - gibt es eine Figur der deutschen Nachkriegsgeschich-te, über die ein Urteil schwieriger ist als über diesen ehemaligen Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden; diesen Herrn über schwarze Kassen, der sich selbst über Recht, Gesetz und Verfassung stellte; den Kanzler der deutschen Einheit; den Regierungschef, in dessen Amtszeit die Flickaffäre um illegale Parteispenden fiel; den Protagonisten der europäischen Einigung? Sollte die These stimmen, dass die historische Bedeutung von herausragenden Politikern mit dem Ausmaß ihres Wankens zwischen Legalität und Legitimität, zwischen Recht und Unrecht, zwischen demokratischer Verpflichtung und der Attitüde zur undemokratischen Usurpation der Macht wächst - Helmut Kohl gehörte unzweifelhaft zu jenen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte, denen man solche große historische Bedeutung zuschreiben müsste. Aber sie stimmt nicht. Denn es gibt eben auch andere Figuren. Ohne Rechtsbrüche. An ihnen gemessen schrumpft der Politiker Helmut Kohl. 16 Jahre sind eine lange Regierungszeit, 25 Jahre als CDU-Vorsitzender sind eine erdrückende historische Periode für eine junge Nachkriegspartei. Sie lastet schwer auf der Erinnerung. Auf der Erinnerung der heute 30-, 40-, 50-Jährigen. Es sind keine durchgehend guten Erinnerungen. Die CDU hatte in der Kohl'schen Spendenaffäre kaum eine andere Chance, als sich von ihrem ehemaligen Vorsitzenden zu distanzieren. Kohl reagierte, wie man es erwartet hatte: Mit beleidigt-herrschaftlicher Attitüde warf er seiner Union den Ehrenvorsitz vor die Füße. Einsicht: null. Unrechtsbewusstsein: keins. Das Schisma zwischen Kohl und der CDU aber ist nur Form, inhaltlich haben sich die Christdemokraten nie wirklich von ihrem Altkanzler ab- und "dem Mädchen", wie der seine Nachnachfolgerin in Parteivorsitz und Kanzleramt einst nannte, zugewandt. Auch daran mag es gelegen haben, dass Helmut Kohl - gezeichnet durch seine 82 Lebensjahre - mit ein paar kurzen Bemerkungen die Bundestagsfraktion seiner Partei zu sich umdrehen konnte. Das sei seine Heimat, hier sei er zu Hause, hat er der Unionsfraktion gesagt. Und: "Ich habe viel Mut für die Zukunft Europas. Ich möchte mit Ihnen allen diesen Mut haben." Die Abgeordneten applaudierten ihrem Altkanzler. So einen Satz hätten sie eigentlich von ihrer Kanzlerin hören müssen. Irgendwann in dieser Euro-Krise. Nur einmal. Führung nennt man so etwas. Und Überzeugung. Haltung auch. Helmut Kohl gab sie ihnen, Merkel nicht. Was für ein Jammer, dass sich dieser Mann dazu hinreißen ließ, sich über das Gesetz zu stellen. Und dies bis heute tut. Er hätte eine große Figur der Geschichte bleiben können. So bleibt der Makel des Rechtsbrechers. Auch nach 30 Jahren. Und trotz der Verdienste als großer Europäer.

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