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Neue Westfälische: Die Unruhen im Iran Spur der Geschichte PETER MÜNCH-HEUBNER

Bielefeld (ots)

Es wäre nicht das erste Mal, dass
Wahlfälschungen den Untergang eines Regimes herbeigeführt haben. Für 
viele Kenner des Iran stellt sich die Frage, warum die politische 
Führung vor einer Woche das Wahlergebnis so offensichtlich von oben 
herab dekretierte.
Der Iran hat seit 1997 schon eine ganze Reihe von Urnengängen und 
einen Demokratisierungsprozess hinter sich, der westlichen Ansprüchen
zwar aufgrund der massiven Interventionsrechte des Wächterrates und 
des Revolutionsführers Khamenei nicht genügen mag. Dieser Prozess hat
in den letzten zwölf Jahren aber eine erstaunliche Entwicklung weg 
vom Gottesstaat Khomeinis und hin zu einem Meinungspluralismus 
eingeleitet, wie er in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens nur
selten zu finden ist.
1997 und 2001 hat der Wächterrat den Wahlsieg des Reformers Khatami 
ohne Manipulationsversuche hingenommen. Was war diesmal anders? 
Wollen die Konservativen um Ahmadinedschad die Uhren auf das Jahr 
1979, das Jahr der Islamischen Revolution zurückdrehen?
Schon die Tatsache, dass Khatami im März dazu "überredet" wurde, auf 
eine weitere Kandidatur zu verzichten, deutete darauf hin, dass die 
Revolutionsführung angesichts einer Stimmungslage in der Bevölkerung,
die auf Veränderung zielt, nervös geworden war. Das, was sich in der 
zurückliegenden Woche auf den Straßen Teherans abgespielt hat, deutet
auch auf mehr als nur Unmut über ein gefälschtes Wahlergebnis hin. 
Die Hintergründe der Rebellion - und als solche kann man die Unruhen 
schon bezeichnen- reichen weit zurück.
Ayatollah Khamenei hat in seiner Freitagspredigt noch einmal seine 
alten Positionen bekräftigt und betont, dass Wahlen an den Wahlurnen 
und nicht "auf der Straße" entschieden werden. Das lässt für die 
nächsten Tage wenig Gutes erahnen. Sollte der Präsident die Unruhen 
mit Gewalt niederschlagen wollen, wird er danach kaum zur 
Tagesordnung übergehen können. Auf der anderen Seite: Das Massaker 
auf dem Platz Tien An Men ist fast genau zwanzig Jahre her und wen in
der Pekinger Führung stört das heute noch?
Die Islamische Republik ist nicht die Volksrepublik China. Das System
in Teheran ist kein Monolith, und es kennt viele Machtzentren neben 
dem Wächterrat, Zentren, die oft gegeneinander arbeiten. Die 
Demonstrationen sind keine Studentenproteste. Sie erfassen weite 
Bevölkerungsschichten und sind jetzt schon ein zeitgeschichtliches 
Ereignis. Es steht für die größte Volkserhebung im Lande seit 1979.
Die Welt sieht im Augenblick nur Bilder des städtischen Iran. Was der
ländliche Teil denkt, wo die Hochburgen der Konservativen sind, 
findet weniger Beachtung. Selbst wenn sich Ahmadinedschad halten 
kann: Die letzte Woche hat ihre Spuren in der Gesellschaft des Landes
hinterlassen.
Peter Münch-Heubner (49) ist Nahostwissenschaftler. Er lehrt an der 
Universität der Bundeswehr in München- Neubiberg und der Universität 
Augsburg.

Pressekontakt:

Neue Westfälische
Jörg Rinne
Telefon: 0521 555 276
joerg.rinne@neue-westfaelische.de

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