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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Prophezeiungen bewahrheiten sich" -- Interview mit Greenpeace-Experte Karsten Smid zu Klimawandel/Dürre in den USA

Lüneburg (ots)

Dürren gab es schon immer in den USA oder Südeuropa. Nicht aber so oft. "Man kann zwar mal Sechsen würfeln, aber nicht ständig", sagen Klimaforscher. Allein 2011 gab es in den USA elf Wetterextreme. Jetzt leidet die US-Kornkammer unter einer Rekord-Trockenheit. Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid erwartet "Klimasprünge mit weltweit enormen Verwerfungen."

In den USA vertrocknet die Ernte, in Russland brennen die Wälder, auf Grönland schmilzt das Eis. Erleben wir Vorboten dessen, was noch kommt?

Karsten Smid: Die Wissenschaft kann zwar solche Einzelereignisse nicht ursächlich auf den Klimawandel zurückführen, aber in der Tat geschieht jetzt, was uns die Klimaforscher prophezeit haben. Immer mehr Studien kommen zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterlagen wie der derzeitigen Dürre in den USA zunimmt und dass sie unwahrscheinlich wären, wenn wir keinen Klimawandel hätten. Also bleibt unter dem Strich die Erkenntnis, dass dies die ersten Auswirkungen des Klimawandels sind. Die Wissenschaftler scheinen ihre lange geübte Vorsicht bezüglich solcher Aussagen abzulegen. Am Sonntag warnten US-Klimatologen ebenso wie Potsdamer Klimaforscher im Februar, dass wir mehr Wetterextreme erwarten müssen. Karsten Smid: Anfang des Jahres wurde ein mehrere Hundert Seiten starker IPCC-Report zu Klimaxextremen veröffentlicht, in dem der Weltklimarat bereits zu dem Schluss kam, dass die zunehmende Häufigkeit und Heftigkeit gerade von Hitzewellen auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Dieser Report wurde allerdings wenig beachtet.

Welche Folgen hat der Klimawandel gerade in den Kornkommern der Menschheit?

Karsten Smid: Wir erleben gerade in den USA die Folgen: Es kommt zu enormen Ernteeinbußen. Und da die Landwirtschaft ein globaler Markt ist, steigen die Preise für die zentralen Getreidesorten massiv an -- also für Weizen, Mais und Soja. Letzteres verteuert die Fleischproduktion, weil viele Soja-Produkte im Tierfuttermarkt landen. Amerikaner und Deutsche werden sich hohe Lebensmittelpreise noch leisten können. Leiden werden die Menschen in Ländern der Dritten Welt, vor allem in Afrika. Müssen wir wieder Hungerrevolten infolge steigender Getreidepreise fürchten? Karsten Smid: Noch gibt es dafür keine Anzeichen, doch es kann natürlich sehr schnell zu Hungerrevolten kommen. Schon jetzt sind aber Millionen Menschen auf der Flucht vor den Folgen des Klimawandels -- weil ihr Boden sie nicht mehr ernähren kann, weil Dürren sie aus ihrer Heimat vertreiben.

Bietet grüne Gentechnik mit der Entwicklung hitzeresistenter Arten eine Antwort?

Karsten Smid: Das sind nicht mehr als Heilsversprechen der Gen-Industrie auf Basis von Wunschträumen. Nimmt man die jetzige Dürre in den USA unter die Lupe, wird dort schon auf der Hälfte der Äcker Gen-Mais angepflanzt -- aber der verdörrt genauso wie der nicht manipulierte. Diese Heilsversprechen -- selbst, wenn sie eingelöst werden können -- würden auch das Grundprob"lem nicht lösen. Wir müssen den Ausstoß der Treibhausgase reduzieren, sonst können wir die Folgen nicht mehr handhaben.

Fast 40 Prozent dieser Klimakiller werden in Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion in die Atmosphäre geblasen. Stoßen die katastrophalen Dürren ein Umdenken an?

Karsten Smid: In den USA erfolgt in dieser Hinsicht derzeit eine interessante Entwicklung. Die US-Wetterbehörde meldete das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen für den Zeitraum von Juli 2011 bis Juni 2012. Infolgedessen kommen die Klimaskeptiker richtig ins Schwitzen mit ihrer These, den Klimawandel gäbe es schlicht nicht. Allerdings führt das bei den Konsequenzen aus dieser Erkenntnis keineswegs zu einem echten Umdenken. Technologiefixiert, wie die amerikanische Gesellschaft ist, wird eher geplant, wie man sich an die Folgen des Klimawandels anpassen kann. Das sind allerdings gefährliche Gedanken. In Deutschland hat man gerade Geo- und Climate-Engineering eine klare Absage erteilt, also beispielsweise Erwägungen, über die Düngung des Meeres der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen oder über künstlich erzeugte Wolken eine Abkühlung zu erreichen. Wir müssen das Problem an den Wurzeln bekämpfen. Und das heißt: Die Emission von Treibhausgasen muss vermindert werden.

Röstet der heiße Sommer auch die Wahlkampfkampagne der Klimaskeptiker von der Tea Party?

Karsten Smid: Immerhin hat sogar der Chef von Exxon Mobil, Rex Tillerson, vor dem "Council for Foreign Relations" eingeräumt, dass der Klimawandel real ist. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat Exxon eine aggressive Kampagene finanziert, die den Klimawandel bestritt. Nun hält Tillerson den Klimawandel zwar für eine der fünf größten aktuellen Herausforderungen, gleichwohl aber für handhabbar. Die Klimaerwärmung lässt den Wüstengürtel längs des Äquators wachsen. Also nicht nur in den USA, sondern auch im südlichen Australien und im Norden Indiens.

Wirft der Klimawandel alle Konzepte gegen den Hunger über den Haufen?

Karsten Smid: In der Tat. Wie Klimawandel und Marktmechanismen ineinander greifen, erleben wir gerade aktuell in den USA. Ernten verdorren, Preise steigen, Menschen verhungern. Noch ist das Welthungerproblem vor allem eines der Umverteilung, denn insgesamt produziert die Landwirtschaft genug Kalorien, um alle Menschen zu ernähren. Eine steigende Weltbevölkerung und vertrocknende Anbauflächen werden dies Problem allerdings noch verschärfen.

In Regionen wie dem Süden der USA oder Sibirien vermuten Klimaforscher Kippelemente, also Systeme, die bei Überschreiten eines Grenzwertes eine Kaskade verheerender Konsequenzen nach sich ziehen. Droht uns ein schlagartiges Chaos?

Karsten Smid: Dies kann nicht ausgeschlossen werden, auch wenn wir nicht wissen, wo die Grenzwerte liegen, deren Überschreiten ganze Klimasysteme kollabieren lassen. Alarmierende Meldungen gibt es etwa aus der Arktis. Dort schmilzt das arktische Meereis schneller als von den Wissenschaftlern prognostiziert. Die Meereisbedeckung nimmt dramatisch ab, infolgedessen die Reflektion des Sonnenlichts -- was die Erwärmung noch mal antreibt. Zudem gehen auf dem nordamerikanischen Kontinent die borealen Wälder, also die Nadelwälder südlich der Tundra zurück. Auch, weil die vom Klimawandel geschwächten Bäume massiv vom Borkenkäfer befallen sind. Damit verliert das größte zusammenhängende Waldgebiet der Erde an Wert als Kohlenstoffspeicher. Aufgrund solcher und anderer Rückkopplungseffekte können wir nicht davon ausgehen, dass sich das Klima langsam und stetig erwärmt. Vielmehr sind Klimasprünge zu erwarten, die weltweit zu enormen Verwerfungen führen können. Wir sehen das jetzt auch bei der Hitzewelle in den USA: Die extemen Temperaturen verstärken sich selbst. Das Hochdruckgebiet stabilisiert sich selbst und je größer es ist, desto länger kann es sich halten -- und löst eine Dürre aus.

Sind wir angesichts dieser Risiken nicht schon zu spät dran mit der von Ihnen geforderten Reduzierung der Treibhauskiller?

Karsten Smid: Nein, es ist nicht zu spät. Wir können das Schlimmste noch verhindern. Weil wir bisher zu viel Zeit verloren haben, müssen wir bereits jetzt die Vorboten des Klimwandels erleben. Die Techniken beherrschen wir alle, mit denen sich der CO2-Ausstoß vermindern lässt. Was fehlt, ist der politische Wille, wie man bei den Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen jedes Mal wieder neu feststellen muss. Es fehlt am Umdenken. Wir müssen die Alarmzeichen ernst nehmen und endlich die Treibhausgase drastisch reduzieren.

Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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