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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Türkei: Bärendienste von Wolfgang Ziegler

Regensburg (ots)

Keine Frage: Mit ihrem feigen Doppelanschlag in Istanbul hat die kurdische Extremistengruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) nicht nur 38 unschuldige Menschen in den Tod gerissen und mehr als 150 teilweise schwer verletzt. Sie hat sich selbst, ihrer Sache und letztlich nicht nur allen Kurden, sondern allen Oppositionellen in der Türkei einen Bärendienst erwiesen, dessen Folgen noch gar nicht abzusehen sind. Denn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dürfte jetzt definitiv nicht mehr aufzuhalten sein. Das sieht auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, so. "Es ist verheerend, wie sich die Türkei entwickelt", sagte er am Wochenende. "Die Anschläge begünstigen, dass Erdogan seine Macht weiter ausbauen kann. Die einzigen Kräfte in der Türkei, die sich gegen ihn stemmen könnten, sind entweder nicht mehr existent oder bereits sehr stark unter Erdogans Einfluss." Sofuoglu trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn ohne Zweifel bewegt sich das Land am Bosporus mit ungebremster Dynamik in Richtung einer Diktatur - mit Erdogan als Despoten. Natürlich kann der für sich reklamieren, demokratisch gewählt zu sein, was er im Übrigen auch tut. Allerdings als unparteiischer und überparteilicher Präsident und nicht als Alleinherrscher an der Spitze eines Präsidialsystems. Das soll nun das Parlament erledigen - und damit der Demokratie in der Türkei de facto den Todesstoß versetzen. Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Situation beraten seit gestern die europäischen Außenminister in Brüssel einen Entwurf für einen Beschluss zur EU-Erweiterung, der vorsieht, nicht nur die Gespräche mit den Westbalkanstaaten, sondern auch jene mit der Türkei fortzusetzen. Und natürlich stößt der türkische Präsident nicht nur viele von ihnen, sondern auch einen Großteil der EU-Parlamentarier mit seiner höchst umstrittenen Post-Putsch-Politik und seiner unnachgiebigen Härte gegen Oppositionelle und Kritiker vor den Kopf. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, der niederbayerische CSU-Politiker Manfred Weber, bekräftigte zwar, dass die EU mit der türkischen Regierung "im Gespräch bleiben" müsse, sagte aber gleichzeitig, dass er "eine Beitrittsperspektive in die Europäische Union für die Türkei nicht mehr" sehe. Damit vertritt Weber die Meinung einer überwältigenden und parteiübergreifenden Mehrheit der Parlamentarier. So meinte etwa auch der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), dass es nicht darum gehe, Brücken zur Türkei abzubrechen, ein Abschied vom Beitrittsprozess einen sinnvollen Dialog aber erst wieder möglich mache. Aber ist nicht auch dies ein Bärendienst, den diese Politiker der europäischen Wertegemeinschaft erweisen? Macht nicht erst ein partnerschaftlicher Dialog auf Augenhöhe eine Einflussnahme und einen Wandel möglich? In diesem Sinne widersprach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auch dem EU-Parlament, indem er bekräftigte, dass er den Beitrittsdialog mit der Regierung in Ankara nicht stoppen wolle. Völlig zu Recht mahnte er, dass sich Europa und die Türkei wieder aufeinander zubewegen müssten und sich nicht mit Riesenschritten noch weiter voneinander entfernen dürften. Und auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) lehnte einen Abbruch der Beitrittsgespräche ab, weil Sprachlosigkeit noch nie weiter geführt habe. Das hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erkannt, die sich nach den neuerlichen Anschlägen in Istanbul diesmal umgehend mit Präsident Erdogan in Verbindung setzte, um Hilfe und eine enge Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus anzubieten. Etwas ähnliches hätte sie auch damals, in den Iden des Juli, tun müssen - und einen Putschversuch des Militärs gegen eine demokratisch gewählte Regierung als das bezeichnen müssen, was er war. Ein krimineller Akt.

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