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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Sebastian Heinrich zum CDU-Parteitag

Regensburg (ots)

Es ist ruhiger geworden bei den deutschen Konservativen. Zumindest scheint es so: Der Gegenwind, der Angela Merkel wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik noch vor einem Jahr von der Basis der CDU und vor allem von der CSU entgegenbrauste, ist abgeflaut. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer stellt sich voll hinter die erneute Kanzlerkandidatur Merkels. Aus Sicht der Union ist das die einzige vernünftige Haltung. Und aus Sicht der Union ist es wünschenswert, wenn Merkel in der kommenden Woche beim CDU-Parteitag mit einem starken Ergebnis gewählt wird. Denn die Kanzlerin ist für Christdemokraten und Christsoziale momentan alternativlos. Welcher Unionspolitiker sollte statt ihrer antreten? Wer sich um den Platz an der Regierungsspitze bewirbt, muss erstens ein ähnliches politisches Geschick haben wie die Kanzlerin und zweitens den nötigen Rückhalt in den eigenen Reihen. Und kein Unionspolitiker mit diesen Eigenschaften ist in Sicht. Merkel hat Geschick bewiesen, indem sie solange für den EU-Türkei-Pakt geworben hat, bis er umgesetzt war. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass seither weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Vor allem deswegen ist der Rückhalt für sie wieder gewachsen. Das Problem besteht trotzdem weiter: TausendeMenschen stranden Woche für Woche in Italien, eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise ist nicht in Sicht. Aber in Deutschland hat das Problem an Brisanz verloren - und das ist, zumindest innenpolitisch, ein Erfolg für Merkel. Der zweite Grund, weshalb die Union nicht an Merkel vorbeikommt: Die Kanzlerin steht für Kompromiss und Ausgleich. Und dieses Image brauchen CDU und CSU, wenn sie sich auch am Wahlabend im September 2017 noch als Volkspartei fühlen wollen. Damit das gelingt, müssen die Unionsparteien für traditionell-konservative Wähler attraktiv sein, die skeptisch in die Zukunft blicken, die Einwanderung, Homo-Ehe und europäische Integration skeptisch sehen - und gleichzeitig für neu-konservative, die liberalere Ansichten haben. Trotz der scharfen Kritik in der Flüchtlingskrise ist kein anderer Unionspolitiker für diesen politischen Balance-Akt besser geeignet als Merkel. So vernünftig die vierte Merkel-Kandidatur für die Union ist - für die politische Kultur in Deutschland birgt sie ein großes Risiko. Die Kanzlerin hält ausgerechnet jetzt, im Jahr der politischen Schocks in Deutschland (die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen) und im Ausland (das Brexit-Votum und die Wahl Donald Trumps), an ihrer Macht fest. Dass die Bundestagswahl nicht zum nächsten Erdbeben wird, können die etablierten politischen Parteien nur mit viel Mut verhindern. Sie müssen sich stärker voneinander abgrenzen: Für die Wähler muss klar erkennbar sein, was das SPD-Programm von jenem von CDU und CSU unterscheidet; wie Grüne, FDP und Linke die Gesellschaft voranbringen wollen - und wie alle genannten Parteien sich wiederum von der AfD unterscheiden. Die traditionellen Parteien müssen sich streiten, sich aneinander reiben. Ihre Spitzenpolitiker müssen auch dorthin gehen, wo es wehtut: Zu den Abgehängten der Gesellschaft und zu allen, die Angst vor der Zukunft haben. Die Politiker müssen auch diesen Menschen ihr Programm erklären - und so ein starkes Signal setzen gegen das beängstigend weit verbreitete Gefühl, dass "die da oben" zu weit weg sind vom Alltag der meisten. Wenn die Wahlkämpfer in den nächsten Monaten das schaffen, dürfen sich die Bürger auf eine spannende Bundestagswahl freuen. Und spannende Wahlen sind die einzige vernünftige Alternative für alle, denen die Demokratie am Herzen liegt. Alternativlos, sozusagen.

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