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Mittelbayerische Zeitung: DGB-Chef Sommer: 2010 wird zur Nagelprobe für den Sozialstaat

Regensburg (ots)

Regensburg. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer
sieht das kommende Jahr als Test für die Tragfähigkeit des 
Sozialstaats. Im Interview mit der "Mittelbayerischen Zeitung" 
(Regensburg) spricht Sommer über Brücken über den Krisenstrom, 
zunehmende Arbeitslosigkeit und wer in der Regierung wen in den 
Schwitzkasten nimmt.
Herr Sommer, was bringt 2010?
Michael Sommer: Es wird die Nagelprobe, ob dieser Sozialstaat 
trägt.
Bislang sind wir glimpflicher durch die Krise gekommen, als 
zunächst befürchtet. Wem haben wir das zu verdanken?
Sommer: Der Klugheit unserer Gesellschaft, dem verantwortlichen 
Handeln von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Alle haben 
erkannt, dass diese Finanzkrise eine Deformation größten Ausmaßes ist
und entsprechend reagiert. Die gesellschaftlichen Akteure haben in 
der Krise zusammengearbeitet und nicht den kurzen Vorteil gesucht, 
von Ausnahmen abgesehen. Vielleicht zeichnet das unser Land aus.
Ist das auch ein Lob für die Politik?
Sommer: Die Politik hat vernünftig reagiert. Sie hat erkannt, dass
wir eine sozial kontrollierte und regulierte Marktwirtschaft 
brauchen. Allerdings ist sie über die Erkenntnis nicht 
hinausgekommen. Bislang wurde in diesem Bereich nicht geliefert. Das 
beklage ich sehr. Die Banken haben das Rettungspaket bis heute nicht 
mit einer verbesserten Kreditvergabe beantwortet. Stattdessen machen 
sie Geschäfte mit den staatlichen Geldern und die Politik honoriert 
ihr Verhalten, indem sie sich immer noch scheut, die Finanzmärkte 
nachhaltig zu regulieren.
Wo hat denn Berlin vernünftig reagiert?
Sommer: In der praktischen Politik: Die Bankenrettung war 
alternativlos, ebenso die Regelungen zur Kurzarbeit, die 
Konjunkturprogramme, die Abwrackprämie. Was wurden wir Gewerkschaften
für diesen Vorschlag zunächst verspottet, dann war es der große 
Renner. Wir hätten uns noch mehr Konjunktur-stützende Maßnahmen 
gewünscht. Immerhin: Es war ein Paradigmenwechsel. Die Politik ist 
über ihren Schatten gesprungen.
Kommt im neuen Jahr das dicke Ende?
Sommer: Die Krise wird wohl leider auf dem Arbeitsmarkt ankommen. 
Es ist zu befürchten, dass es 2010 selbst bei geradeaus laufender 
Konjunktur und trotz verlängerter Kurzarbeit zu einer deutlichen 
Steigerung der Arbeitslosenzahlen kommt.
Sind die Mittel ausgereizt oder kann man noch etwas gegen den 
drohenden Beschäftigungseinbruch tun?
Sommer: Es muss nachgearbeitet werden. Wir müssen Brücken über 
einen Krisenstrom bauen, dessen Breite wir nicht kennen. Ich halte es
für dringend erforderlich, die Konjunkturprogramme durch weitere 
Zukunftsinvestitionen zu verstetigen.
Was heißt das konkret?
Sommer: Beispiel Wohnungsbau, da gibt es einen katastrophalen 
Einbruch. Mir sagen die Kollegen von IG BAU, in normalen Zeiten 
müssten jährlich 300 000 Wohneinheiten gebaut werden. Derzeit sind es
nicht einmal 100 000. Auch beim Klimaschutz oder bei 
Zukunftsinvestitionen in Forschung und Bildung müsste viel mehr 
passieren.
Inzwischen regiert Schwarz-Gelb. Droht damit die soziale Eiszeit 
oder war das nur ein Wahlkampf-Popanz?
Sommer: Ich glaube schon, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und 
die Union erkannt haben, dass soziale Marktwirtschaft sozialen 
Ausgleich und sozialen Frieden braucht. Bei Mitbestimmung, 
Kündigungsschutz, Tarifautonomie tragen sie dem bisher Rechnung. Da 
ist offensichtlich dazugelernt worden.
Das klingt nach großer Zufriedenheit.
Sommer: Nein, dass war nur der erste Teil meiner Antwort. In den 
Niederungen der Ebene merkt man dann die wahre Absicht. Beispiel 
Mindestlöhne: Selbst wo die Tarifparteien mit sechs zu null einen 
Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt haben wollen, wie in 
der Abfallwirtschaft, blockiert die FDP, blockiert insbesondere 
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle.
Die Beschäftigten der Abfallwirtschaft bekommen künftig einen 
Mindestlohn...
Sommer: Ja, eine richtige und in meinen Augen unausweichliche 
Entscheidung. Bundesministerin von der Leyen muss aber noch in diesem
Jahr die Mindestlohnverordnung unterzeichnen, damit sie Anfang Januar
in Kraft treten kann. Aber dieses Prozedere von Schwarz-Gelb zeigt um
so mehr, dass die FDP einen auf ,gelbe Gefahr' macht. Das gilt 
genauso für die Kettenbefristungen, also die Frage, ob es möglich 
ist, sachgrundlose Befristungen aneinander zu ketten.
Gibt es zukünftig bei jedem Mindestlohn ein solches Gezerre?
Sommer: Das wäre ein ganz schlimmes Signal. Es würde zeigen, dass 
diese Regierung gerade in dieser schweren Zeit soziale Verantwortung 
als drittrangig einstuft. 2011 muss Schwarz-Gelb eine prinzipielle 
Antwort auf den Mindestlohn geben. Dann tritt die volle 
Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der EU in Kraft. Passiert nichts, wie 
es die FDP will, dann werden wir erleben, wie Arbeitnehmer aus 
Osteuropa für mieseste Lohndrückerei bei uns eingesetzt werden. Die 
Alternative ist eine Mindestlohn-Politik. Wir müssen flächendeckend 
eine Lohnuntergrenze einziehen, um Armutslöhne zu bekämpfen und 
zugleich die Tarifautonomie gegen Ausfransung nach unten zu schützen.
Das wird die FDP niemals mitmachen.
Sommer: Aber das wird das zentrale Thema für Millionen Menschen, 
übrigens auch für Handwerksbetriebe. Wenn die Regierung in diesem 
Punkt nicht zur Einsicht kommt, werden wir Druck machen und 
eskalieren. In dieser Frage werden wir keine Ruhe geben. Ein solches 
Lohndumping werden wir nie zulassen.
Hat die FDP die Union in den Schwitzkasten genommen?
Sommer: Das Bild ist nicht schlecht. Momentan dominiert eher Gelb 
als Schwarz. Bisher prägt neben Stümperhaftigkeit die gelbe 
Klientelpolitik das Bild dieser Koalition. Die Union muss sich 
fragen, wo ihr Gestaltungsauftrag liegt und wie lange sie sich das 
noch gefallen lassen will.

Pressekontakt:

Mittelbayerische Zeitung
Redaktion Politik/Nachrichten
Telefon: +49 941 / 207 404
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