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Westfalenpost: Es gibt verschiedene Arten von Vernunft
Kommentar von Harald Ries zum Küken-Urteil

Hagen (ots)

Mit der Vernunft ist das so eine Sache: Oft ist sie nicht weniger subjektiv und relativ als ein Gefühl. Wenn das OVG Münster sagt, man dürfe 50 Millionen männliche Küken schreddern, sofern ein vernünftiger Grund vorliege, und den darin sieht, dass Alternativen zu teuer seien, dann ist das eine bestimmte Art von Vernunft, die bei anders vernünftigen Menschen ein bestimmtes Gefühl erzeugt: Abscheu.

In ein paar Jahren dürfte es bezahlbare Techniken geben, das Geschlecht schon im Ei zu erkennen. Dann wäre das gestrige Urteil Geschichte. Aber es bleibt ein grundsätzliches Problem: Vielen Menschen leuchtet die Vernunft der industrialisierten Landwirtschaft nicht mehr ein. Tier- und Naturschutz und Nahrungsmittelproduktion haben sich auseinander entwickelt. Das darf man ruhig auch persönlich nehmen: Verbraucher wissen nicht, was Bauern bewegt. Letztere sehen sich beschuldigt von ignoranten Romantikern, die zugleich nur das Billigste kaufen. Da treffen sie einen wunden Punkt: Niedrigstpreise und höchste ethische Ansprüche passen nicht zusammen.

Das gilt für alle Branchen. Die Agrarbranche aber ist eine besondere. Sie erhält hohe Subventionen. Das gibt dem Steuerzahler Rechte. Und sie prägt die Landschaft. Deshalb darf sie nicht abwandern wie die Textilindustrie. Und natürlich geht es um Gefühle. Aber eben auch um die Vernunft: Ist es vernünftig, in einem der reichsten Länder der Erde die billigsten Lebensmittel für den Weltmarkt erzeugen zu wollen? Was ist der Preis für spezialisierte Hochleistungszüchtungen? Was wollen wir unseren Böden und dem Wasser zumuten, nur weil es praktisch ist? Darüber müssen Verbraucher und Landwirte neu verhandeln. Die Politik hat sich Jahrzehnte lang davor gedrückt.

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