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WAZ: Präsidentenwahlkampf - Es droht krachend laut der Stillstand - Leitartikel von Thomas Wels

Essen (ots)

Streng genommen, ist das, was sich ab heute im
politischen Berlin abspielt, stinknormal. Ein amtierender 
Bundespräsident stellt sich dem demokratischen Wettbewerb, geht - 
ganz Ökonom - selbst bei gewissen Unsicherheiten als Kandidat von 
Union und FDP ins Rennen um das höchste deutsche Staatsamt. Und die 
SPD lässt es sich als altehrwürdige Volkspartei nicht nehmen, mit 
einer eigenen Kandidatin das arg ramponierte Selbstbewusstsein etwas 
aufzufrischen. Also, was soll das Getöse?
Die Parteien wissen in der eigenen Selbsteinschätzung nur zu gut,
was jetzt ansteht. Nicht Schwan und nicht Köhler werden dafür sorgen,
das ab jetzt Wahlkampf in Deutschland tobt. Das besorgen schon die 
Parteistrategen und Büchsenspanner aus der zweiten Reihe selbst. 
Tatsächlich ist der Wahlkampf längst in der Großen Koalition 
angekommen.
Das zeigt das Hickhack zwischen den Bundesministern Glos (CSU) 
wahlweise mit Steinbrück, Gabriel oder Tiefensee (alle SPD) um 
Kfz-Steuer oder Kohlendioxid; das zeigt auch die Auseinandersetzung 
um das bessere Konzept zur Entlastung der Mittelschicht: Während CSU 
und Teile der CDU Steuersenkungen zu Lasten des Haushalts von 
Finanzminister Steinbrück versprechen, bastelt die SPD am Umbau der 
Sozialversicherung und denkt an steigende Beitragstarife für 
Besserverdienende. Damit wäre auch das wichtigste, noch anstehende 
Projekt der Koalition erledigt - der Gesundheitsfonds mit 
einheitlichen Sätzen für die Krankenkasse. Es droht krachend laut der
Stillstand, und das bis zur Bundestagswahl 2009. Schlecht für den 
Standort D.
Ob der Präsidentenwahlkampf gut durchdacht war von denjenigen, 
die rund um die SPD-Linke Andrea Nahles die Chance nutzten, um im 
Entscheidungsvakuum der Parteispitze einen Schlag gegen die 
Neoliberalen (als deren Vertreter Horst Köhler immer noch gilt) zu 
führen? Die Auslieferung der SPD an Oskar Lafontaine könnte der Preis
für diesen kurzfristigen politischen Erfolg sein. Was, wenn die Linke
einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt und diesen aber nach dem 
zweiten Wahlgang zurückzieht, um damit Gesine Schwan zur 
Bundespräsidentin von Oskars Gnaden zu machen? Das wäre für 
diejenigen, die kalt kalkulierend die Öffnung der SPD für eine 
bundesweite Zusammenarbeit der Linken betreiben, auszuhalten. 
Sozialdemokratisches Urgestein würde bersten. Könnte ein Mann wie 
Steinmeier vor solch' einem Szenario überhaupt als Kanzlerkandidat 
antreten? Die SPD entscheidet heute mehr als über eine 
Präsidentschaftskandidatin.

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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