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Schaut besser hin
Die Behörden scheitern zu oft bei Hilfe für Frauen, die unter Gewalt leiden
Leitartikel von Christian Unger zur Gewalt in Partnerschaften

Berlin (ots)

Diese Zahl ist schockierend: Fünf Frauen werden pro Stunde von ihren Partnern oder Familien getötet. Das zeigt eine aktuelle Studie der Vereinten Nationen. In Deutschland gab es 2021 mehr als 120 Fälle, in denen der Partner seine Frau (und deutlich seltener seinen Mann) tötete. Statistisch passieren diese Morde hierzulande alle drei Tage. Gewalt im nahen sozialen Umfeld, in der Familie - sie ist bitterer, trauriger Alltag in Deutschland. Polizisten, Lehrer, Unternehmer sind die Täter. Die Gewalt kennt keine sozialen Grenzen. Sie kommt in allen Altersgruppen vor, mit oder ohne Migrationsgeschichte. Und dennoch: Wir reden viel zu wenig darüber. Die Betroffenen bleiben oft allein - mit ihren Ängsten, mit ihrer Scham. Mit ihrem gewalttätigen Partner. So ist noch eine Zahl alarmierend: Zwei Drittel der Betroffenen zeigen die Gewalt in den eigenen vier Wänden nicht bei der Polizei an. Sie bleibt im Verborgenen. Diese hohe Dunkelziffer bei "häuslicher Gewalt" deutet auf ein kollektives Versagen hin: von Polizei und Justiz, von Politik und Gesellschaft. Handeln ist zwingend - und die Debatte über Gewalt gegen Frauen darf sich nicht nur auf Jahrestage und Polizei-Pressekonferenzen zum Jahresbericht beschränken. Was ist zu tun? Gewalt gegen Frauen darf nicht im Abstimmungschaos zwischen Polizei, Justiz, Jugendamt, Familiengericht versinken, weil die eine Stelle nicht weiß, was die andere tut. Zu häufig melden Behörden Alarmsignale von Gewalt in Partnerschaften nicht an Hilfsstellen. Und noch immer fehlt bei der Polizei und auch der Justiz Sensibilität für Gewalt in Partnerschaften. Ohne Frage: Der Einsatz ist für die Polizei heikel, denn oft sind die Täter betrunken, es gibt keine Öffentlichkeit, die schützt, sondern die Beamten sind allein mit dem Gewalttäter, nicht selten sind Kinder dabei, in jedem Haushalt gibt es Waffen - und sei es ein Küchenmesser. Das alles wiegt einsatztaktisch schwer. Doch zu häufig fahren Polizisten wieder ab, ohne den Ernst der Lage zu erkennen und Gewalt als Herrschaftsmittel in Beziehungen zu entlarven. Zu selten erkennen sie den Hilferuf des Opfers. Noch schlimmer: Betroffene Frauen berichten immer wieder, dass ihnen vor Gericht ein Teil der Schuld für den Gewaltausbruch des Mannes gegeben wird. Als ließen sich Schläge des Mannes mit Frust, Stress und Beleidigungen in Beziehungen entschuldigen. Zugleich wiegt noch etwas schwer: die Abhängigkeit der Frau von dem Mann. Eine Trennung von einem Gewalttäter bleibt aus, weil er die einzige Einnahmequelle auch für die Frau ist. Weil er das Haus besitzt. Weil er für das Kind das Studium finanziert. Ökonomische Ungleichheit zwischen Mann und Frau ist ein Faktor für Gewalt. Aber auch die "gelernte" Abhängigkeit der Frau von dem Mann. Dass Dominanz und Körperlichkeit "männlich" ist. Zum "Mann sein" dazugehört. Die Frau dagegen ist "verletzlich", das "Opfer". Diese Klischees sind gedankliches Fundament häuslicher Gewalt. Der Schlüssel im Kampf gegen Gewalt an Frauen ist die Prävention. Eskalationen verhindern, bevor sie passieren. Durch mehr Bildung bei Frauen und Männern, durch mehr Beratungsangebote für Paare, mehr Therapieplätze. Aber auch: durch einen stärkeren Fokus auf die Arbeit mit Tätern. Gewalttätigen Männern Wege aus der Gewalt zeigen, ist zentral. Auch und vor allem, um Wiederholungstaten zu verhindern. Zum Schutz der betroffenen Frauen.

Pressekontakt:

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Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

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