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Berliner Morgenpost: Zweierlei Lehren aus einem Krieg (Kommentar)

Berlin (ots)

Vielleicht hat es einen tieferen Sinn, dass der
israelische Präsident Schimon Peres gerade jetzt vor dem Bundestag 
spricht, wo die Bundesrepublik sich wegen Afghanistan wie selten 
zuvor in ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte mit Fragen von Krieg 
und Frieden plagt. Denn die Lehren, die Peres und sein Land aus der 
Schoah zogen, sind ja ganz andere als die, welche die mehrheitliche 
pazifistisch gestimmte deutsche Bevölkerung gezogen hat.
Peres erzählte den Abgeordneten von seinem Großvater im 
weißrussischen Wischnewa, der, in seinen Gebetsmantel gehüllt, mit 
der ganzen Gemeinde von den Nazis in die Synagoge getrieben und dort 
verbrannt wurde. "Konnte ein verfolgtes Volk, von den Stiefeln der 
Täter zertrampelt, die mörderische Kriegsmaschine der Nazis 
aufhalten? Wie viele Divisionen standen den Juden Europas zur 
Verfügung? Wie viele Panzerwagen, Kampfflugzeuge, wie viele 
Gewehre?", fragte Peres. Die Wehrhaftigkeit des heutigen Israel ist 
für ihn eine direkte Folge der Wehrlosigkeit, mit der Juden im von 
den Nazis besetzten Europa in Rauch aufgingen. "Nie wieder" bedeutet 
für Israelis eben auch: "Nie wieder Opfer sein." Das beinhaltet die 
Erkenntnis, dass das Leben von Menschen, ihre Freiheit und 
Unantastbarkeit zuweilen auch mit Waffengewalt verteidigt werden 
müssen.
Es ist erstaunlich, wie weit die Lehren aus der Vergangenheit an 
diesem Punkt immer noch auseinanderklaffen. Während viele Deutsche 
wie Bischöfin Margot Käßmann jeden Waffengebrauch letztlich für 
verwerflich halten, würde Peres mit vielen Israelis und 
Schoah-Überlebenden, die von den Alliierten gerettet wurden, darauf 
bestehen, dass es letztlich darauf ankommt, für welchen Zweck sie 
eingesetzt werden: um Böses voranzutreiben oder aber um noch 
Schlimmeres zu verhindern.
Den Deutschen ist aus dem Holocaust ein tiefes Misstrauen gegen sich 
selbst erwachsen. Und da in ihrer Geschichte Krieg des Öfteren mit 
zweifelhaften Rechtfertigungen begründet wurde, wollen viele, dass 
Deutschland besser gar nicht mehr militärisch handeln solle. Das ist 
aber letztlich der einfache, ein zu einfacher Weg. Weil man sich den 
quälenden moralischen Abwägungen, die mit heutigem kriegerischem 
Handeln verbunden sind, nicht stellen will, zieht man sich auf das 
vermeintlich sichere Terrain pazifistischer Gesinnung zurück.
Das Zusammentreffen von Peres' Rede im Bundestag und der 
Afghanistan-Debatte zeigt jedoch, dass die Schoah nicht allein 
Bezugspunkt notwendiger Erinnerungsarbeit ist, sondern dass die 
moralischen Fragen, die sich daraus ableiten, weit in unsere 
Gegenwart hineinragen und keinesfalls eindeutig sind. Etwa die, 
welchen tätigen, möglicherweise auch militärischen Schutz sich die 
Verfolgten dieser Welt von uns Deutschen erwarten dürfen.
Einfache Antworten darauf wird es nicht geben. Es wäre aber schon 
viel geholfen, wenn man sich in Deutschland öfter daran erinnern 
würde, dass nur Waffengewalt die Nazis von der Vollendung ihres 
Judenvernichtungsprogramms abhalten konnte.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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