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Berliner Morgenpost: Politiker in der Moralfalle - Kommentar

Berlin (ots)

Stellen wir uns vor, ein junger Mensch hat einen
seltsamen Berufswunsch und will Politiker werden. Dieser junge Mensch
hat studiert, eine Weile im Ausland verbracht, ist vertraut mit 
moderner Technik und hat in einem Unternehmen gar ein wenig leiten 
geübt. Er oder sie könnte überall gut verdienen, möchte aber dennoch 
Volksvertreter werden; erst Abgeordneter, später vielleicht Minister 
- so wie zu Guttenberg.
Die vergangenen Wochen werden jede politische Nachwuchskraft, die 
halbwegs bei Sinnen ist, bekehrt haben: Politiker, das sind doch die,
die selbst dann geschlachtet oder verächtlich gemacht werden, wenn 
sie sich an die Vorschriften halten. Wehe, man lässt sich von der 
Kanzlerin zum Essen einladen. Wehe, man hält sich an die Regeln beim 
Dienstwagengebrauch. Empörungswellen brausen auf, vom medialen Sog 
aufgebauscht, an deren Ende wie Strandgut immer eine Botschaft liegen
bleibt: alles Verbrecher, keine Moral, parteiübergreifend. Damit der 
öffentliche Hass nicht so allein ist, fügt ein Scherzkeks noch 
reichlich Hohn dazu. Welcher Qualifizierte will sich diese Folter 
antun?
Der Politiker steckt in der Moralfalle: Denn er macht immer alles 
falsch. Eine Ministerin, die mit dem Dienstwagen im Urlaub weilt? 
Unmoralisch wegen Verschwendung. Eine Ministerin, die im Ernstfall 
nicht schnell genug in Berlin ist? Erst recht unmoralisch, weil sie 
sich nicht kümmert. Eine Kanzlerin, die Unternehmenslenker zum Essen 
bittet? Verschwenderin. Eine Kanzlerin, die ihre Kontakte in die 
Wirtschaft nicht pflegt? Verantwortungslos. Das Schöne an der Moral 
ist: Mit ihr im Bunde lässt sich immer alles verurteilen.
Die empört vorgetragenen Moralrituale schrauben öffentliche Debatten 
allerdings in ein schwarzes Loch. Denn ängstliche Politiker fühlen 
sich gezwungen, Tatsachen zu verschleiern. Ulla Schmidt wagte nicht 
zu sagen, dass es bequemer ist, wenn die feine Karre auch in den 
Ferien vor der Tür steht. Wo ist das Problem, sofern die private 
Nutzung nach den geltenden Regeln bezahlt wird?
Auch die Kanzlerin verweigert die Auskunft. Mag eine Regierungschefin
das Recht und eine Bewirtungskasse haben, um vom Bank-Chef bis zum 
Streetworker einzuladen, wen sie will - gegen die Moral hat sie keine
Chance. Angela Merkel weiß genau, was geschieht, wenn Dinner-Details 
an die Öffentlichkeit geraten. Ein absehbarer Fall von 
Suppen-Hysterie.
Statt Dienstwagen-Kleinkram und Abendbrot-Krümel wäre es allemal 
angemessener, die Vorgänge bei Opel in den Blick zu nehmen oder das 
Drama bei der HRE. Dort werden Milliarden abgeworfen, die künftig bei
der Bildung fehlen. Wer diese Baustellen haushaltsschonend bewältigt,
darf Dienstwagen fahren und Kanzler-Wein trinken, so viel er will.
Für derart komplexe Probleme allerdings braucht man Fachleute. Die 
aber werden sich nicht in der Politik filetieren lassen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

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