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Berliner Morgenpost: Der Mittelstand muss für die Sozialkassen leiden

Berlin (ots)

Es ist kaum zu glauben, aber eben doch wahr und im
Trend nicht einmal neu: Deutschland lässt sich seinen Sozialstaat 
viel kosten, sehr viel sogar. Fast jeder dritte im Lande 
erwirtschaftete Euro wird in diesem Jahr für Soziales ausgegeben. 
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hat recht mit seiner 
Feststellung, dass Deutschland deshalb einer der leistungsfähigsten 
Sozialstaaten der Welt sei, der gerade in der gegenwärtigen Krise gut
funktioniere. Wir lassen uns das 2009 um die 754 Milliarden Euro 
kosten (der Bundeshaushalt des laufenden Jahres weist 290 Milliarden 
Euro aus). Das ist knapp ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts, also 
der Produktionswert aller Güter und Dienstleistungen binnen eines 
Jahres. Zu widersprechen ist dem Minister auch nicht, dass die 
Rezession den Anteil der Sozialausgaben am Inlandsprodukt in die Höhe
treibt. Aber richtig ist eben auch, dass der deutsche Sozialstaat 
unabhängig von der jeweiligen Konjunkturlage unglaublich teuer ist.
Wenn jeder dritte Euro in nimmersatten Sozialkassen landet, stellt 
sich allerdings auch immer dringlicher die Frage, wie lange 
Deutschland sich das noch leisten kann. Frisst der Sozialstaat die 
Zukunft des Industriestandorts auf? Deutschlands einzig gewichtige 
Ressourcen sind Bildung, Wissenschaft und Forschung, dazu die große 
Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und damit eine im 
internationalen Vergleich hohe Produktivität. Sie alle müssen 
gefördert und erweitert werden, wenn der Lebensstandard zumindest 
gewahrt werden soll. Dazu sind, wie alle Parteien versprechen, hohe 
Investitionen nötig; private wie öffentliche. Doch wie soll das 
möglich sein, wenn immer mehr Milliarden aus öffentlicher wie 
privater Kasse in die Stabilisierung, gar in den Ausbau des 
Sozialstaats fließen? Jeder dritte in Deutschland wertgeschöpfte Euro
für die soziale Absicherung - da bleibt vergleichsweise wenig für 
Zukunftssicherung übrig. Die nächste Regierung wird schwerlich 
umhinkommen, den langen Katalog der sozialen Leistungen zu 
beschneiden. Weil er schon auf absehbare Zeit nicht mehr zu 
finanzieren ist.
Es ist die Mittelschicht der mittleren Einkommen, die zu den 
Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehört und mit ihren stetig 
steigenden Abgaben in Form von Steuern und Sozialbeiträgen einen 
Großteil der sozialen Wohltaten finanziert. Doch diese Mittelschicht 
schrumpft zunehmend. Weil sie einerseits vom vermeintlich wohltätigen
und deshalb steuergefräßigen Staat immer dreister ausgenommen wird, 
andererseits nennenswerte Bruttozuwächse beim Gehalt zur Ausnahme 
werden. Die nächste Regierung wird sich also mehr den 
Mittelverdienern als den Wenig- oder Gar-nicht-Verdienern zuwenden 
müssen. Auch angesichts der OECD-Studie, nach der Deutsche mit 
mittlerem Einkommen verglichen mit anderen Industrieländern weit 
höhere Steuern und Abgaben zu leisten haben. Vor allem aber, weil es 
ohne gesunde, dazu breite Mittelschicht zur Illusion wird, selbst 
eine leicht abgespeckte Sozialpolitik dauerhaft bezahlen zu können. 
Jeder dritte Euro ist einfach zu viel.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

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