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Berliner Morgenpost: SPD zwischen Albernheit und Sektierertum - Kommentar

Berlin (ots)

Wolfgang Clement ist der Reich-Ranicki der SPD. Er
provoziert gern - nicht immer sinntief, bisweilen nur um des Rabatzes
willen. Clement ist eben gelernter Journalist. Keines seiner 
politischen Projekte wird es ins Geschichtsbuch schaffen. Umso 
eifriger nutzt er das Polter-Privileg der Polit-Senioren, so wie die 
Kollegen Schmidt oder Blüm oder Geißler. Sie haben die Lizenz zum 
Meckern. Alle wissen: Mag der Donner der alten Herren bisweilen 
ärgerlich sein, für den Gang der Tagespolitik ist er absolut 
folgenfrei.
Als Clement kurz vor der Hessenwahl maulte, man könne die SPD in 
Wiesbaden wegen ihrer Energiepolitik nicht wählen, da schäumten die 
Genossen. Zu Recht. Denn Clement hatte schlechtes Benehmen gezeigt: 
Die Nicht-Wahl seiner Partei zu fordern, das ging zu weit. Die SPD 
hingegen hätte gut daran getan, den Fehltritt zu rüffeln, zu 
belächeln und zu vergessen. Doch Gelassenheit ist keine Tugend der 
Sozialdemokratie. So hat es der Fall bis vor den 
Bundesschiedsausschuss geschafft, der über einen Parteiausschluss 
verhandelt. Otto Schily wird Clement verteidigen.
Der heilige Ernst, mit dem die SPD über Abweichler richtet, hat etwas
angsterregend Sektiererisches. In Hamburg etwa wurde vergangene Woche
der Bundestagsabgeordnete Niels Annen bestraft. Nicht etwa, weil er 
sein Studium nach 14 Semestern schmiss, da er am Latinum gescheitert 
war (was ein guter Grund gewesen wäre), sondern weil er zu den 
Parteilinken gehört. Die Rechten hatten dafür gesorgt, dass Annen 
nicht wieder für den Bundestag aufgestellt wird. Motiv: Rache. Auch 
in Hessen lebt die SPD ihre Bestrafungsfantasien aus. Die vier 
Abweichler, die die Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin 
verhindert hatten, leben seit Wochen mit der Drohung, ausgeschlossen 
zu werden.
Der Furor, mit dem sich die beiden Flügel der SPD bei jeder 
Gelegenheit beharken, hat mit politischem Wettbewerb nicht mehr viel 
zu tun. Hier geht es nicht um Inhalte, sondern um Glaubenskrieg. 
Lösungswille ist nicht länger Minimalkonsens, vielerorts regiert 
blanker Hass.
In dieser Unfähigkeit zum fairen Kampf werden die Erosionen der 
deutschen Volksparteien sichtbar, übrigens auch in der Berliner CDU. 
Eines Tages wird sich die Legitimationsfrage stellen: Sollen 
sektenartige Kleinklubs wirklich exklusiv die Meinungs- und 
Willensbildung organisieren dürfen? Bilden die Parteien wirklich eine
Vielfalt der Meinungen ab und kanalisieren deren Wettstreit 
demokratisch?
Wer dieser Tage seine Energie auf alberne Tribunale verschwendet, 
anstatt sich mit aller Kraft gegen die Jahrhundertkrise der 
Wirtschaft zu stemmen, der dreht sich in einem Kosmos fernab einer 
Realität, die noch weniger als sonst Heilslehren braucht, sondern 
gerades, klares Regieren.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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