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Die Intervention in Afghanistan ist gescheitert
Kommentar von Sven Hansen

Afghanistan (ots)

Natürlich lief nicht alles schlecht in Afghanistan, aber unterm Strich ist die westliche und damit auch die bundesdeutsche Intervention klar gescheitert, militärisch wie politisch. Zwar ging nach 9/11 von Afghanistan dank der Intervention kein weiterer Terrorangriff mehr aus. Aber al-Qaidas damalige Gastgeber, die Taliban, sind heute so stark wie seit 2001 nicht mehr. Sie kontrollieren große Landesteile und sind weiter auf dem Vormarsch.

Gescheitert ist die Intervention aber vor allem politisch. Afghanistan ist instabil, ohne funk­tions­tüch­tiges politisches System. Unter den Talibangegnern bekämpfen sich mehrere korrupte Machtzentren. All das weckt bei vielen Afghanen Sehnsucht nach harter Führung. Die Taliban versprechen genau das.

Gemessen an den hohen menschlichen und finanziellen Kosten sind die Ergebnisse der Intervention mager. Dabei ist das Afghanistan von heute mit mehr Bildung, selbstbewussteren Frauen, Internet und Mobilfunk viel komplexer als das Afghanistan von 2001. Und doch haben der Ruf und die politische Überzeugungskraft der führenden Interventionsländer stark gelitten.

Die westliche Intervention ist daran gescheitert, eine traditionelle Gesellschaft im Wechselspiel zwischen Militär, Politik, wirtschaftlichem Wiederaufbau, rivalisierenden regionalen Interessen, kultureller Hegemonie und lokalen Traditionen zu befrieden, zu modernisieren und zu demokratisieren. Aus heutiger Sicht war das eine klare Überforderung, die auf Naivität, Überheblichkeit, teilweise auch Goodwill und Solidarität basierte und zugleich neoimperiale Ziele des Westens verfolgte.

Hinzu kamen die Eigeninteressen des militärisch-industriellen Komplexes und die Eigendynamik von Gewalt, die neue Widerstände provoziert. Dies umso mehr, wenn die Nutznießer der Intervention eigentlich diskreditierte Warlords sind, welche die Werte, in deren Namen die Intervention angeblich stattfindet, ungestraft mit Füßen treten.

Das Ende des Einsatzes am Hindukusch ist deshalb eine überfällige logische Konsequenz. Dabei löst der aus taktischen Gründen überhastete Abzug keine der afghanischen Probleme. Vielmehr stärkt er das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Afghanistan muss seine Probleme in erster Linie selbst lösen, von außen kann es nur Hilfestellung geben. Doch wurde die afghanische Eigenverantwortung immer erst dann entdeckt, wenn die Interventionsmächte nicht mehr weiterwussten. Zurück bleiben Opfer, Enttäuschung und die Herausforderung, Lehren zu ziehen. Das sich abzeichnende Scheitern in Mali zeigt, dass dafür nicht viel Zeit bleibt.

Pressekontakt:

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Susanne Knaul
Telefon: +49 30 25902 255
meinung@taz.de

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