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Türkei: Kein Ausnahmezustand mehr - Menschenrechtslage nicht verbessert

Türkei: Aleviten auch ohne Ausnahmezustand benachteiligt - Erdogans Islamisierungskurs gefährdet das sunnitisch-alevitische Verhältnis auch in Deutschland

--- Göttingen, den 19. Juli 2017 --- Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands in der Türkei kann dort nicht mit einer Verbesserung der Menschen- und Minderheitenrechte gerechnet werden, warnt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Nach jahrzehntelangem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung inner- und außerhalb des Landes geraten jetzt Angehörige der Religionsgemeinschaft der Aleviten zunehmend unter Druck. Sie befürchten eine "totale Islamisierung" in der Türkei.

"Der Islamisierungskurs von Präsident Recep Tayyip Erdogan kann aber auch zu Spannungen zwischen Sunniten und Aleviten in Deutschland beitragen", erklärte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Donnerstag in Göttingen. Die Aleviten wollen sich nicht von einer radikalen Auslegung des Korans leiten lassen, den die regierende AKP-Partei unter Erdogan propagiert und schon kleinen Schulkindern im Religionsunterricht aufzwingt, sondern eine liberale Glaubensrichtung praktizieren, die dem Islam ähnliche Elemente enthält.

"Die türkische Regierung beabsichtigt, alevitische Geistliche vom staatlichen Präsidium für Religionsangelegenheit Diyanet ausbilden zu lassen und sie dann alevitischen Gemeinden sowohl in der Türkei als auch in Deutschland aufzuzwingen", berichtete Sido. Diese Initiative der Regierung in Ankara sei auf empörten Widerstand der Aleviten gestoßen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Aziz Aslandemir, erklärte gegenüber der GfbV: "Religion ist eine Gewissensentscheidung. Niemand darf einen anderen zwingen, eine Religion oder eine Konfession gegen seinen Willen anzunehmen. Religion darf niemals als Mittel der Politik benutzt werden."

Als Beispiel für die Diskriminierung der Aleviten in der Türkei führte Sido den Umgang mit alevitischen politischen Gefangenen an. In türkischen Gefängnissen wird ihnen ein Seelsorgegespräch mit einem alevitischen Geistlichen verweigert. So lehnte die Gefängnisleitung in Silivri, einem Stadtbezirk von Istanbul, Anfang Juli den Wunsch des früheren alevitischen Abgeordneten Eren Erdem ab, einen alevitischen Geistlichen zu kontaktieren. Erdem wurde mitgeteilt, dass er gerne einen sunnitischen Imam von Diyanet sprechen könne. "Eine solche Reaktion einer türkischen Behörde stellt eine tiefe Beleidung für jeden Aleviten dar", sagte Sido. Aleviten beanspruchen für sich das Recht auf Seelsorgegespräche mit einer "Ana" oder einem "Dede", einer weiblichen oder einem männlichen Geistlichen.

Die Religionsgemeinschaft der Aleviten umfasst in der Türkei bis zu 20 Millionen Angehörige. Bis zu 800.000 Aleviten leben in Deutschland. Es gibt sowohl kurdisch-, türkisch- als auch arabischsprachige Aleviten. Ihre Religion predigt ein Einswerden mit Gott, damit der Mensch vollkommen wird. Die Sunniten betonen den Dualismus zwischen Gott und Mensch. Viele Aleviten legen Wert darauf, füreinander einzutreten, um die Vervollkommnung in der Gemeinde zu erleben. Bei den Sunniten steht das Individuum im Fokus, das durch Pflichterfüllung ans Ziel gelangt: das Paradies. Die Unsterblichkeit der Seele, an die die Aleviten glauben, halten Sunniten für Aberglauben. Die Aleviten lehnen den islamischen Gesetzeskodex Scharia ab. Auch die fünf Säulen des Islam spielen für sie keine Rolle.

Kamal Sido ist erreichbar unter Tel. 0173 67 33 980.

Gesellschaft für bedrohte Völker
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