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Atomenergie: Ausstieg aus dem Ausstieg fällt aus

Radolfzell (ots)

Berlin, 2. September 2005: Der von der
rot-grünen Bundesregierung im Einvernehmen mit den
Kernkraftwerksbetreibern vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie ist
faktisch nicht mehr umkehrbar. Das belegt eine von der Deutschen
Umwelthilfe (DUH) in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme
des Berliner Atomrechtsexperten Reiner Geulen. Danach würde eine
Betriebsverlängerung an neuen, nicht erfüllbaren
Genehmigungserfordernissen nach den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 scheitern. Kürzlich hatte Siemens-Aufsichtsratschef
Heinrich von Pierer in seiner Funktion als „Innovationsberater“ der
Union vorgeschlagen, die laufenden Anlagen 60 Jahre, also die
jüngsten unter ihnen, bis etwa 2050, weiter zu betreiben.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kündigte an, „jeden Versuch,
den Betrieb von Atomkraftwerken über die im Ausstiegskonsens
vereinbarten Restlaufzeiten hinaus zu verlängern, auf dem Klagewege
zu bekämpfen.“ DUH-Anwalt Geulen kommt in seiner Untersuchung zu dem
Ergebnis, dass die von der derzeitigen Opposition vehement
eingeforderte „Verlängerung der Betriebszeiten der deutschen
Atomkraftwerke aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist.“ Der
Grund: Die AKW-Betreiber hatten in der Ausstiegsvereinbarung vom
Juni 2000 auf die bis dahin unbefristeten Be-triebsgenehmigungen
ihrer Reaktoren verzichtet. Die Regierung billigte im Gegenzug jedem
Meiler eine „Reststrommenge“ zu, die noch erzeugt werden darf. Danach
erlischt die Genehmigung automatisch. So fand die Vereinbarung
Eingang in das heute geltende Atomausstiegsgesetz. Die Vorstellung
von Union und FDP, der Gesetzgeber könne diesen Prozess per
Federstrich rückgängig machen, nennt Geulen „rechtlich unhaltbar.“
Vielmehr könnten Anwohner oder Kommunen in der Umgebung der Meiler
entweder gegen die geplanten Verlängerungen der Betriebsdauer oder
schon gegen die zugrunde liegende Änderung des Atomgesetzes klagen.
Die Erfolgsaussichten wären entscheidend höher als in der
Vergangenheit, weil die erforderliche Neugenehmigung nun an
Schutzmaßnahmen gegen Terrorangriffe islamistischer
Selbstmordattentäter gebunden wäre. Ein solcher Schutz ist aber – ge-
rade bei den vier in der bevorstehenden Legislaturperiode zur
Abschaltung anstehenden älteren Anlagen – entweder technisch
ausgeschlossen oder wirtschaftlich nicht darstellbar. Bis zu den
Terrorangriffen des 11. September 2001 in den USA waren mögliche
zufällige Flugzeugabstürze dem so genannten Restrisiko zugerechnet
worden. Dagegen mussten deutsche Atomkraftwerke wegen der extrem
geringen Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse nicht geschützt sein.
Diese Situation hat sich, so Geulen, grundlegend geändert. Lege man
die Risikoabschätzungen des Bundesinnenministeriums der
atomrechtlichen Betrachtung zu Grunde, „lässt sich nicht mehr
ernsthaft vertreten, dass das Risiko einer Kernschmelze dem
Restrisiko zuzuordnen wäre“. Vielmehr habe sich die
Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs mit der realen Möglichkeit von
Terrorangriffen nach dem Muster des 11. September um etwa einen
Faktor tausend erhöht. Dies müsse bei jeder Laufzeitverlängerung
berücksichtigt werden. Geulen gab sich überrascht, dass die Debatte
„offenbar vom Zaun gebrochen wird, ohne auch nur einen ernsthaften
Gedanken an die rechtlichen Realisierungsmöglichkeiten zu
verschwenden.“ DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte, er
habe „keinen Zweifel, dass Union und FDP im Fall eines Wahlsiegs mit
ihren Atomplänen Schiffbruch erleiden werden.“ Unter Hinweis auf eine
bis heute amtlich geheim gehaltene Untersuchung der Kölner
Gesellschaft- für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), griff Resch
Kanzlerkandidatin Angela Merkel scharf an: „Wer in einer solchen Zeit
das Risiko bewusst verlängert, statt die Reaktoren so schnell wie
möglich aus der Schusslinie zu nehmen, beweist, dass ihm die
Zuneigung der Stromkonzerne mehr am Herzen liegt, als die Zukunft des
Landes“. Die GRS-Studie, für die Luftschläge mit Passagiermaschinen
auf fünf exemplarische Atomkraftwerke in Deutschland hunderte Male
simuliert wurden, hatte insbesondere ergeben, dass die vier nach
gegenwärtiger Rechtslage in den kommenden Jahren stillzulegenden
Reaktoren besonders verwundbar sind. Für alle erwarten die Gutachter
bei entsprechenden Angriffen aus der Luft die „großflächige
Zerstörung des Reaktorgebäudes“ und in der Folge eine „frühe
Radioaktivitätsfreisetzung“. Die von den Reaktorbetreibern seit
Jahren propagierte Idee, die Reaktoren im Ernstfall kurzfristig mit
Hilfe einer Kaskade von Nebelwerfern blitzartig unsichtbar zu machen,
nannte Resch lächerlich. „So etwas in Zeiten satellitengestützter
Navigationssysteme vorzuschlagen, grenzt an Volksverdummung.“ Jeder
Windstoß könne darüber hinaus dafür sorgen, dass dieser so genannte
Schutz versagt. Vor allem aber habe die erschütternde Tatsache, dass
heute auch in Mitteleuropa Selbstmordattentäter operieren, die mit
ihrem irdischen Leben abgeschlossen haben, die möglichen
Anschlagszenarien enorm erweitert. Die Bedrohungslage könne sich in
Deutschland zusätzlich verschärfen, wenn der Atomkonflikt mit dem
Iran weiter eskaliere und am Ende von Amerikanern oder Israelis mit
gezielten Luftangriffen gelöst werde, womöglich unter dem Beifall
einer Regierung Merkel. Resch: „Ich glaube nicht daran, dass unsere
Phantasie mit der zu allem entschlossener Attentäter Schritt halten
kann.“ Er frage sich wie lange Angela Merkel in dieser Sache „gegen
mehr als drei Viertel der Bevölkerung durchregieren will, die den
Atomausstieg wollen“. Der unter Rotgrün tatsächlich eingetretene
politisch ungestörte Betrieb deutscher Atomkraftwerke werde „an dem
Tag zu Ende gehen, an dem eine Bundeskanzlerin Merkel den
Ausstiegskonsens der Gesellschaft real aufkündigt“.
Der Politische Leiter der Deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz,
warf den Stromkonzernen, deren führende Vertreter immer
unverblümter die Rückkehr zum Status quo ante fordern, „Wort- und
Vertragsbruch“ vor. In der Atomkonsens-Vereinbarung hatten
Bundesregierung und Kraftwerksbetreiber im Juni 2000 wörtlich
erklärt: „Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der
Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird.“ Die Bundes-
regierung habe sich auch nach dem 11. September 2001 „bis nahe an
die Selbstaufgabe an diese Verabredung gehalten“. Der Dank der
Konzerne bestehe nun darin, die erste Gelegenheit zur Aufkündigung
des Konsenses zu nutzen.
Rosenkranz hielt den Unternehmen vor, es gebe seit Jahren praktisch
keine Presse- oder sonstige Erklärung, „in der die Konzernherren von
der Politik nicht ultimativ Planungssicherheit und verlässliche
Rahmenbedingungen einfordern, um investieren zu können.“ Die ge-
genwärtige Regierung habe dies auf zwei zentralen Feldern umgesetzt.
Mit dem Atomausstiegsgesetz auf der einen und dem Erneuerbare
Energien Gesetz auf der anderen Seite sei in den vergangenen Jahren
auf zwei zentralen Feldern der Energiepolitik ein fester Rahmen über
2020 hinaus geschaffen worden: „Die Wirtschaft ergreift die erste
Gelegenheit, um beides wieder einzureißen.“ Der Gipfel dieser
Entwicklung seien die Äußerungen des frischge-backenen
Innovationsberaters der Unionskanzlerkandidatin, Heinrich von
Pierer. Der hatte vorgeschlagen, Atomkraftwerke wie die in Biblis –
entwickelt in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und
gebaut Anfang der siebziger, als die Computer mit Lochkarten
gesteuert wurden – noch bis 2035 am Netz zu halten. Natürlich
verfolge der Siemens-Aufsichtsratsvorsitzende dabei keinerlei
Eigeninteresse. Rosenkranz: „Da offenbart sich eine fast biblische
Innovationskraft. Glücklich das Land, das solche Berater vorzuweisen
hat “
Für Rückfragen:
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e.V., Fritz-Reichle-Ring 4, 78315 Radolfzell, (www.duh.de), Tel: 07732/99 95-0, mobil 0171/3649170 ,E-Mail:  resch@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, (www.duh.de), Tel.: 030/258986-15, mobil 0171/56 60 577, E-Mail:  rosenkranz@duh.de
Dr. Reiner Geulen, Rechtsanwaltskanzlei Geulen & Klinger, Schaperstraße 15, 10179 Berlin, (www.geulenklinger.com), Tel.: 030/884728-0, E-Mail:  geulen@geulen.com

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