Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Schotten stimmen für Europa Historische Leistung Thomas Seim
Bielefeld (ots)
Schottland bleibt bei Großbritannien. Das ist eine kluge Entscheidung der Schotten - in vielerlei Hinsicht. Es ist der Sieg des Verstandes über das Herz, ein Sieg der Vernunft über die Gruppendynamik, ein Sieg der Ökonomie über den Separatismus. Das alles allein muss man noch nicht gut finden, obwohl es richtig und klug ist. Aber die Schotten haben mehr geleistet mit diesem Votum. Sie haben der Einheit des europäischen Kontinents unter dem Rubrum der Europäischen Union einen Dienst erwiesen. Das ist eine historische Leistung. Dieser Dienst besteht in der Emanzipation der Region von zentralistischem Dirigismus. Er ist eine Absage an die Führungselite der europäischen Hauptstädte und bestätigt das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung ihres Lebens. Das - nichts anderes - ist der Ursprung der europäischen Demokratien. Gelegentlich - so hat man den Eindruck - gerät der herrschenden Politikerklasse in Europa unter dem Eindruck so genannter Sachzwänge und angeblicher Alternativlosigkeiten dieser Ursprung aus dem Blick. Der Sinn der europäischen Einigung ist Freiheit und Wohlstand auf dem alten Kontinent, nicht die Regelung der Stärke von Staubsaugern, nicht die Einführung des Zwangs für Öko-Matratzen. Eine gemeinsame, starke Währung, wirtschaftliche Stabilität, offene Grenzen, Niederlassungsfreiheit, Mitbestimmungsrecht und - ja auch das: - die Organisation von Sicherheit an den Grenzen und im Zusammenleben der Menschen - das sind die Aufgaben einer zentralen europäischen Regierung und Verwaltung. Nicht weniger, aber vor allem: nicht mehr. Wenn die Separatisten aller Länder in der EU sich derzeit in dem Gedanken vereinen, dass sie loskommen wollen von dem Moloch der europäischen Besserwisser in Brüssel, dann müssen sie wissen: Allein und ohne gemeinsame Werte stehen sie in der restlichen Welt nicht etwa schlechter da - sie kommen dort überhaupt nicht mehr vor. Weder Herr Putin noch Herr Poroschenko, weder Herr Obama noch Herr Xi Jinping, interessiert, was Schotten denken oder wollen. Weder kennen noch interessieren sie die Interessen und Werte der Basken, der Flandern, der Katalonen, Korsen oder ein Phantomstaat Padanien in Norditalien. In der Macht-, Gedanken- und Wohlstandswelt der Weltmächte und großen Völker und auch in der islamischen Terrororganisation IS kommen diese Regionen nur als Teil eines starken Europas vor oder gar nicht oder schlimmstenfalls als Opfer. So ist die wirkliche Wirklichkeit. Um in dieser Welt eine Rolle zu spielen, zu Freiheit und Wohlstand zu kommen und ihn zu sichern - dazu braucht man einen europäischen Einigungsprozess, nicht für Staubsauger und Öko-Matratzen. Es ist das Verdienst der Schotten, dass sie mit der Diskussion um ihre Unabhängigkeit die Debatte über diesen Gründungs- und Begründungszusammenhang der EU zu einer neuen Qualität geführt haben. Es ist ein Verdienst der Schotten, dass sie mit ihrer Volksabstimmung zur Autonomie den Regionen und den Rändern der EU Gehör verschafft und sie gegenüber der Zentralmacht in Brüssel gestärkt haben. Damit haben sie zugleich die Zentrifugalkräfte in Europa, die den Zusammenhalt der EU zu gefährden beginnen, in einem angemessenen Rahmen gehalten. Diese Leistung der Schotten in ihrem Referendum ist ein Dienst an der Einheit Europas.
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