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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Katia Meyer-Tien zu Georg Schmid/Verwandtenaffäre

Regensburg (ots)

Es ist erschreckend, wie sehr wir uns an das fragwürdige Finanzgebaren mancher Politiker gewöhnt haben. Schwarze Kassen, dubiose Geldkoffer, anonyme Parteispender. Da scheint es schon fast außergewöhnlich, dass nun ein Politiker vor Gericht steht und sich verantworten muss, weil er die Sozialkassen betrogen haben soll. Ihm droht eine Haftstrafe und sogar der Verlust seiner Pensionsansprüche. Und das wegen einer Affäre, die fast schon wieder vergessen schien: Die Verwandtenaffäre, für die Schmid nun exemplarisch steht, beherrschte im Jahr 2013 zwar die Schlagzeilen, führte aber trotzdem nicht zu einem kollektiven Aufschrei, schon gar nicht zu einem Wahldebakel für die betroffenen Parteien. Ein paar Erklärungen gibt es dafür. Zu einem waren es nicht ausschließlich Politiker einer Partei, die die Schlupflöcher nutzten und ihre eigenen Verwandten mit gut bezahlten Posten versorgten. Der stammtischtheoretische Eindruck, "die Politiker" gleich welcher Couleur seien doch eh alle allein auf den eigenen Vorteil bedacht, schien bestätigt, draufhauen damit gleichermaßen berechtigt wie sinnlos: klare Bestätigung aller Politik- und Demokratieverdrossenen. Zum anderen fällt es abseits der vordergründigen Verurteilung der Vorteilsnahme schwer, ein eindeutiges moralisches Urteil zu fällen. Denn es ist zwar so, dass Politiker, wenn sie es erst einmal in den Rang eines Abgeordneten, gar Landtagsfraktionsvorsitzenden geschafft haben, sehr anständig verdienen können - mehr 20 000 Euro im Monat waren es im Fall von Georg Schmid - aber: Bedeutet das, dass die Arbeitszeit der involvierten Familienmitglieder damit ebenfalls abgegolten sein muss? Mehr als 20 Jahre lang hat Gertrud Schmid ihren Mann unterstützt, rund um die Uhr, sagt er, an sieben Tagen die Woche, als "Chefsekretärin" und "Chefassistentin". Natürlich darf man sich - zu recht - fragen, ob Schmid nicht außerhalb seiner Familie eine ebenso engagierte und fähige Arbeitskraft hatte finden können. Aber es wäre falsch, Gertrud Schmid und allen arbeitenden Verwandten pauschal zu unterstellen, sie hätten die Steuerkassen geplündert: Sie haben für ihr Geld und für das Funktionieren unseres politischen Systems gearbeitet. Tief empfundene moralische Entrüstung fällt da schwer, zumal die Beschäftigung enger Verwandter ja immerhin bis zum Jahr 2000 vollkommen legal war. Empörung kann sich hingegen durchaus an der Höhe der monatlichen Vergütungen - im Fall von Gertrud Schmid waren es wohl 3500 bis 5500 Euro netto - entzünden. Und vor allem daran, dass es einmal mehr die Politiker sind, die sich hier ihre eigenen Regeln in einem Spiel machen, das uns alle betrifft. Das besondere am Fall Georg Schmid ist, dass er diese Regeln noch deutlich weiter ausgelegt zu haben scheint als die anderen. Im Raum steht der Verdacht, dass er seine Frau als Scheinselbstständige beschäftigt und so die Sozialkassen um mehrere hunderttausend Euro betrogen hat. Herauszufinden, ob er das tatsächlich getan hat, ist nun Aufgabe des Augsburger Amtsgerichtes, nicht mehr und nicht weniger. Moral ist keine juristische Kategorie, so werden die wesentlichen Fragen rund um dieses Arrangement hier nicht beantwortet werden. Aber der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die Grenzen der parlamentarischen Selbstkontrolle - und auf die Gefahren für unser demokratisches Selbstverständnis. Es scheint unfair, dass Schmid in diesem Prozess schon vor dem ersten Verhandlungstag verurteilt schien, obwohl doch auch für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Der Preis, den er zahlen muss, ist weit höher als die 450 000 Euro, die er der Rentenversicherung als Wiedergutmachung überwiesen hat, weit höher als der drohende Verlust seiner Pensionsansprüche: Sein Leben und das seiner Frau ist aus der so erfolgversprechenden Bahn geworfen. Wenn er nun aber die gesamte Affäre als vermeintlich harmlosen "Fehler" herunterspielt, dann riskiert er auch noch das für Politiker wichtigste Gut: seine Glaubwürdigkeit. Umso mehr müsste er nun als Beispiel dafür aufstehen, dass Politiker sich nicht über geltendes Recht erhaben fühlen. Das würde seinen Fall noch ein Stück außergewöhnlicher machen.

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