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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Wahl: #gehwählen von Holger Schellkopf

Regensburg (ots)

Zur Demokratie gehört die Entscheidung - wer sich dem entzieht, wird sicher nicht gehört werden.

Eigentlich ist es ja etwas Schönes, wenn erwachsene Menschen ein wenig Kind in sich bewahrt haben. Eigentlich - wenn es aber ausgerechnet kindliche Naivität und kindlicher Trotz sind, ist das schon weniger schön. Wenn diese Naivität und der Trotz dann auch noch entscheidend für das Verhalten bei nicht ganz unerheblichen Dingen wie den Bundestagswahlen sind, verliert das Kindliche im Erwachsenen endgültig seinen Charme. Nichts anderes als Naivität und Trotz sind es aber, die beispielsweise aus den wohl formulierten Sätzen triefen, mit denen diverse Intellektuelle - zumindest verstehen sie sich selbst als solche - ausgerechnet in den vergangenen Wochen öffentlich ihren Wahlverzicht erklärt haben. Die Argumente in stark verkürzter Prosa: Es gibt keine echten Alternativen. Parteien und Politiker machen eh nur, was sie wollen. Es gibt keine Partei, deren Positionen ich vollkommen zustimmen kann. Deshalb verweigere ich die Wahl, dann werden die schon sehen. So elegant ausgeführt der Ansatz auch sein mag, im Grunde lässt er sich auf eine Verhaltensweise aus der Sandkiste reduzieren: Wenn ich die blaue Schaufel nicht haben kann, dann spiele ich nicht mehr mit. Da werdet ihr schon sehen. Die Konsequenzen sind im Prinzip auch sehr ähnlich: Die blaue Schaufel benutzt ein anderes Kind und wenn es ganz dumm läuft, übernehmen die fiesen Kerle aus der Nachbarschaft das Kommando im Sandkasten und schubsen alle anderen Kinder nacheinander raus. Dummerweise geht es am Sonntag aber nicht um eine blaue Schaufel, sondern darum, wer künftig dieses Land regieren soll. Und auch wenn der Vergleich mit dem Sandkasten natürlich der Komplexität des politischen Geschäfts nicht gerecht werden kann. Im Kern sind die Abläufe nahezu identisch. Wer sich der Wahl entzieht, sorgt nicht nur dafür, dass er seine eigene Stimme verschenkt - er wertet damit im Endeffekt auch jede Stimme auf, die beispielsweise an eine rechtsradikale Partei geht. Natürlich wird kaum ein Wähler all seine politischen Positionen zu 100 Prozent bei einer Partei wiederfinden. Aber Demokratie heißt eben auch, sich zu entscheiden. Sich zu entscheiden, was einem wirklich wichtig ist und dafür an anderer Stelle auch mal Abstriche in Kauf nehmen zu können. Demokratie heißt ebenso, sich einzusetzen für seine Meinung und nicht beleidigt in der Ecke zu sitzen. Wer sich in noch so eleganter Larmoyanz lediglich darüber ergeht, wie wenig Alternativen die etablierten Parteien bieten würden, stellt am Ende doch nur sicher, dass seine Stimme in jeder Hinsicht überhaupt nicht mehr zählt. Wer nicht mitspielt, kann auch nicht mitreden, wenn es um die Spielregeln geht. Klingt einfach, ist es im Grunde auch. Ausgerechnet die wegen ihrer vermeintlichen Oberflächlichkeit so häufig geschmähten Sozialen Netzwerke zeigen in den vergangen Tagen, dass es auch ganz anders geht. Zahlreiche Sonderplattformen, die sich mit der Bundestagswahl beschäftigen, geben die Möglichkeit, sich zu informieren und zu diskutieren, zu kritisieren, zu streiten - natürlich geht es auch darum, andere Menschen zu überzeugen. Selbst wenn man - wie immer im Leben - nicht so selten über platte Parolen oder laut hinausposauntes Unwissen verwundert sein muss: Diese Diskussionen sind wesentlich zielführender und ertragreicher als die weinerlichen Monologe der Wahlverweigerer. Deshalb lässt sich der Auftrag für diesen Sonntag am Ende auch sehr einfach zusammenfassen. Er lässt sich reduzieren auf den Hashtag einer Kampagne, die der Kurznachrichtendienst Twitter in diesen Tagen gestartet hat: #gehwählen

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