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Mittelbayerische Zeitung: Die Großmacht übt - aber am falschen Objekt

Regensburg (ots)

Von Norbert Mappes-Niediek

Dass Deutschland in der Euro-Krise auf dem europäischen Parkett so viel machtbewusster auftritt als früher, ist eigentlich kein Wunder. Schließlich geht es für alle ums Ganze, und außerdem braucht Europa ja auch wirklich Führung; seine Probleme warten nicht, bis seine Gremien sich zusammengerauft haben. Schlimmer ist, dass den Deutschen ihre neue Rolle verdammt gut zu gefallen scheint. Ablesen lässt sich das weniger an der dramatischen Euro-Rettung als an einem Gegenstand, der dem öffentlichen Interesse entzogen ist. So wie Berlin sich seit einem Dreivierteljahr in der EU-Erweiterungsfrage verhält, hätte es sich das vor einem Jahr nie getraut. Im letzten August war Angela Merkel nach Belgrad gereist und hatte den verblüfften Serben eine zusätzliche, exklusiv deutsche Bedingung genannt: Sie sollten für den Status des Beitrittskandidaten erst einmal den serbisch besiedelten Norden des Kosovo aufgeben. In der Sache hatte Merkel recht. Belgrad täte gut daran, den Verlust seiner ehemaligen Provinz endlich anzuerkennen, und eine Teilung wäre für die ganze Region das falsche Signal. Mit der Form ihres Vorstoßes aber setzte Merkel Deutschland ins Unrecht. Europa kann die Kosovo-Frage für Serbien nicht zur Bedingung machen, weil es selber uneins darüber ist. Fünf EU-Staaten erkennen die Republik nicht an. Das zwingt dazu, die Kosovo-Frage bei Serbiens EU-Beitritt auszuklammern. Ein einzelnes EU-Land jedenfalls darf das Beitrittsgesuch eines Kandidaten nicht zum Anlass nehmen, nun einen eigenen Wunschzettel aufzustellen, den die Bewerber dann abzuarbeiten haben. Das aber hat Merkel getan. Sie hat die Veto-Macht genützt, Serbien ihre eigenen Bedingungen zu stellen. Die Kommission, die Außenbeauftragten Catherine Ashton und die anderen EU-Staaten trauten sich nicht zu widersprechen. Ihnen blieb nichts übrig, als dem Leittier hechelnd hinterherzulaufen. Zum Glück ging das Manöver schief. Berlin lud sich mehr Verantwortung auf, als es tragen kann, und zum Glück haben die Strategen im Kanzleramt und am im Auswärtigen Amt das offenbar selbst gemerkt. Wenn der umstrittene Norden des Kosovo nicht mehr von Belgrad kontrolliert wird, kontrolliert ihn keiner; darin liegt eine akute Gefahr. Zudem war es nicht klug, die Frage des serbischen Beitritts ganz ums Kosovo zu konzentrieren. Das Land hat genug andere Probleme, die es bequem hinter dem Kosovo-Problem verstecken kann. Nach und nach wurde klar, dass die neue Großmacht noch übte. Trotzdem erforderte es massiven Druck, um die Deutschen von der Palme, auf die sie geklettert waren, wieder herunter zu kriegen. Ohne Absprache mit Berlin ließ sich Frankreichs Außenminister Alain Juppé auf eine österreichische Initiative ein, um Serbien gegen deutschen Widerstand mit dem Kandidatenstatus zu bedenken. Das ist schon die höchste Drohstufe. Berlin musste einlenken; für einen offenen Konflikt mit Paris, und noch dazu in einer wesentlichen außenpolitischen Frage, ist die Zeit (noch) nicht reif. Im Pulverrauch der Finanzkrise mag das kleine Scharmützel um Serbien kaum Konturen haben. Ist der Rauch mal weggeblasen, treten sie umso deutlicher hervor. Hier kämpfen nicht Parteien, die für diesen Zweck ja da sind, sondern Nationen. Sie haben alle ein gutes Gedächtnis; das sollte die Freude über gelungene Übervorteilungen, Intrigen und Winkelzüge doch dämpfen. Die Osterweiterung ist eine historische Grenzverschiebung, eine Neuordnung der europäischen Tektonik, wie sie im Schnitt alle hundert Jahre einmal vorkommt - und kein Bund-Länder-Finanzausgleich.

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