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BERLINER MORGENPOST: Nagelprobe für Europa
Leitartikel von Michael Backfisch zu Israel und Iran

Berlin (ots)

Kurzform: Es ist nicht damit getan, dass die EU nur Lippenbekenntnisse abliefert. Nach dem Motto: Wir halten an dem Atomabkommen fest, solange Teheran die Bedingungen erfüllt. Nein, die Europäer müssen in Kauf nehmen, dass deutsche, französische oder niederländische Firmen in diesem Fall mit US-Strafmaßnahmen belegt werden. Sie sollten dann Schadenersatz durch die jeweilige Regierung oder durch Brüssel bekommen. Heute kommt es nicht nur darauf an, dass die EU zu einer wirtschaftlichen Vernichtungskampagne oder gar einem Krieg gegen den Iran Nein sagt. Sie muss ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, um deeskalierend im Nahen Osten zu wirken. Diplomatie ist mühsam, langwierig und frustrierend- zumal auf einem komplizierten Terrain wie dem Nahen Osten. Doch inmitten von außer Rand und Band geratenen Kriegsparteien muss dies einer tun. Die Amerikaner haben sich von dieser Aufgabe verabschiedet. Nun kommt es auf die Europäer an.

Der vollständige Leitartikel: Experten warnten schon lange vor der Gefahr einer Eskalation: Jetzt hat der Iran zum ersten Mal israelische Ziele auf den Golanhöhen angegriffen. Der Iran ist seit Jahren aktive Kriegspartei im syrischen Schlamassel. Revolutionsgardisten, schiitische Milizen und Hisbollah-Einheiten kämpfen an der Seite des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Sie bauen ihre militärischen Basen aus. Und sie provozieren Israel nicht nur mit Worten, sondern auch mit Drohnenattacken. Die Regierung in Jerusalem reagiert mit Raketeneinsätzen auf iranische Stellungen in Syrien. Das gleiche Muster aus Angriff und Vergeltungsaktion lag auch in der Nacht zum Donnerstag vor. Die Lage in Syrien ist außer Kontrolle geraten. Iran, dessen Schutzmacht Russland, Syrien, die Türkei, säkulare und islamistische Rebellen streiten um Macht und Einfluss. Mit dem Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen mit dem Iran ist der Konflikt noch explosiver geworden. Anstatt die Akteure zu befrieden, hat Trump die Büchse der Pandora geöffnet. Trumps rhetorischer Sturmlauf gegen Teheran und seine wortgewaltige Verdammung der Mullahs lassen vermuten, dass der Präsident etwas ganz anderes im Sinn hat: Er will durch die Sanktionen die Daumenschrauben so anziehen, dass der iranischen Wirtschaft die Luft ausgeht. Er strebt in Wahrheit einen Regimewechsel an, damit das iranische Volk in "Freiheit" leben könne. Dieses nicht zu Ende gedachte Kalkül erinnert an den Irak-Feldzug von US-Präsident George W. Bush im Jahr 2003. Auch damals schwelgte Washington in der Utopie, den autokratischen Machthaber Saddam Hussein zu stürzen und quasi per Knopfdruck die Demokratie im Nahen Osten einzuführen. Eine fatale Blauäugigkeit. Trump fühlt sich derzeit psychologisch im Aufwind. Er glaubt, durch seine massiven Drohkulissen den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un zu einer Aufgabe seines Atomwaffenprogramms gezwungen zu haben. Doch erstens ist noch nicht klar, ob Kim sein Arsenal - das bislang seine Lebensversicherung war - wirklich verschrottet. Und zweitens haben China und Südkorea an der aktuellen Bewegung Pjöngjangs einen mindestens ebenso hohen Anteil wie die USA. Das Schlimme daran ist, dass Amerika von den Verbündeten in Europa bedingungslose Loyalität einfordert. Der neue US-Botschafter Richard Grenell hat zu seinem Amtsantritt gleich eine Kostprobe geliefert: Deutsche Unternehmen sollten ihr Iran-Geschäft schleunigst herunterfahren. Dieser Kasernenhofton wird nicht funktionieren. Doch es ist nicht damit getan, dass die EU nur Lippenbekenntnisse abliefert. Nach dem Motto: Wir halten an dem Atomabkommen fest, solange Teheran die Bedingungen erfüllt. Nein, die Europäer müssen in Kauf nehmen, dass deutsche, französische oder niederländische Firmen in diesem Fall mit US-Strafmaßnahmen belegt werden. Sie sollten dann Schadenersatz durch die jeweilige Regierung oder durch Brüssel bekommen. Heute kommt es nicht nur darauf an, dass die Europäische Union zu einer wirtschaftlichen Vernichtungskampagne oder gar einem Krieg gegen den Iran Nein sagt. Sie muss ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, um deeskalierend im Nahen Osten zu wirken. Diplomatie ist mühsam, langwierig und frustrierend - zumal auf einem komplizierten Terrain wie dem Nahen Osten. Doch inmitten von außer Rand und Band geratenen Kriegsparteien muss dies einer tun. Die Amerikaner haben sich von dieser Aufgabe verabschiedet. Nun kommt es auf die Europäer an.

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