All Stories
Follow
Subscribe to BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST: Welches Freunderl hätten Sie gern?

Berlin (ots)

"Maß für Maß" heißt Shakespeares wohl bitterste Komödie, in der ein Herzog in Wien sich verkleidet, um Korruption, Missstände, Vetternwirtschaft und Begünstigungen bei seinem Statthalter auszuspionieren. Sein Statthalter hat einen Ehebrecher und Verführer zum Tode verurteilt und verspricht dessen schöner Schwester, ihn freizulassen, falls sie mit ihm ebenfalls Ehebruch (so hieß das todeswürdige Verbrechen damals noch) begeht. Als sie scheinbar einwilligt, kann der Herzog den Statthalter bei frischer Tat überführen. Nun wird er vom Herzog, Maß für Maß, ebenfalls zum Tode verurteilt. Beide werden, es handelt sich ja um eine Komödie, am Ende geläutert in den Ehehafen überführt. Hannover ist nicht Wien. Und die Amigo-Geschäfte (die im heutigen Wien übrigens heftiger toben als im heutigen Hannover) finden in Bierkellern bei Tischfußball statt, oder man schnorrt sich in den Ferien durch fremde Luxusvillen und Ferienbetten betuchter Geschäftsleute, auch wenn man Ministerpräsident ist und später Bundespräsident wird. Auch das Haus ist kein Wiener Palazzo, aber die 500.000 Euro wollten dennoch besorgt sein. Das alles ist zur Genüge bekannt. Nun, spät, aber doch, und, wie ich fürchte, zu spät und zu verquast, hat der Präsident sich wegen "mangelnder Gradlinigkeit" entschuldigt. Tapfer ließ er seinen Pressesprecher, mit dem er zwölf Jahre lang "wie ein siamesischer Zwilling" verbunden war, über die Klinge springen. "Bauernopfer" heißt das in hochherrschaftlichen Schachwelten für den König und seine Dame. "Den Sack für den Esel schlagen" heißt das bei Bauern. Jetzt droht die Weihnachtsansprache Christian Wulffs, scheinbar frei von jeder Altlast. Und da heutige Bürger mündiger sind als die Wiener in Shakespeares Komödie, werden sie sich angesichts der piefigen, verdrucksten kegelbrüderartigen Geschäftsverbindungen wahrscheinlich auf die Schenkel schlagen, wenn der Präsident bürgerliche Tugenden wie Aufrichtigkeit, Wahrheit, Maßhalten in der Krise und geistige Kreditwürdigkeit beschwört. Nun hatte aber Wulff dabei ein besonderes Pech, da er sich zu der Zeit, als sein Schmierenstück noch nicht spielte, sozusagen als Wulff im Schafspelz, unter seinen hannoverschen Mitbürgern und Osnabrücker Freunden verstecken konnte. Damals feierte noch nicht die CDU im berüchtigten Freundeskreis, sondern die SPD. Der damalige Wulff hieß Schröder und ließ sich von seinem Gönner Carsten Maschmeyer als Ex für eine Million eine Autobiografie schmeißen. Maschmeyer, so scheint es, kennt keine Parteien, sondern nur Freunde. Ob CDU oder SPD, für ihn waren das gleiche Narren, gleiche Kappen. Und so bezahlte er für Wulff auch die Anzeigen zu einem Buch, und Schröder-Freund Manfred Bissinger schrieb dazu ein Vorwort, in dem er die absolute Unbestechlichkeit und Unkäuflichkeit des CDU-Ministerpräsidenten lobte. Er machte Wulff geradezu zum moralischen Asketen und Einsiedler und fand dabei ein seltsam treffendes Kompliment: Wulff habe die Cowboy-Weisheit stets befolgt und oft zitiert: "Steig ab, bevor das Pferd tot ist." Nun gehört zur echten Reue und Einsicht, dass man Buße tut und auf sein Amt verzichtet, wenn es den eigenen strengen Maßstäben nicht gehorcht. Nochmals: Maß für Maß. Aber da gibt Wulff lieber seinem siamesischen Bruder einen Fußtritt, so als wollte er sagen: Das, was ich bisher gequatscht habe, hat sich doch dieser dumme Kerl ausgedacht. Aus dieser Nummer kommt der Präsident nicht mehr raus. Sie liegt gedruckt und von Maschmeyer finanziert vor, heißt "Besser die Wahrheit" und ist ein Interview-Buch. Jetzt könnte Wulff zurücktreten und mit Giovanni di Lorenzo ein Buch schreiben, das den Guttenberg-Titel trägt: "Vorerst gescheitert". Da brauchte er keinen Mäzen, das Buch würde sich wie warme Semmeln verkaufen, und Wulff könnte auf eigene Kosten Urlaub an mondänen Stränden machen. Da dies aber nicht so ist und Politiker nach dem Motto leben: "Was geb ich auf mein dummes Geschwätz von vorgestern", wird er Weihnachten beim Reden an sein Volk wieder aufs hohe moralische Ross steigen und man wird dabei die lahmen Hufe klappern hören. Ach, die Weihnachts- und Neujahrsansprachen! Der Präsident redet zu Weihnachten, der Kanzler zu Silvester. Einmal wurde eine von Helmut Kohl aus Versehen im nächsten Jahr noch einmal wiederholt. Keiner hat es gemerkt. Sie wirkte taufrisch und ehrlich wie am ersten Tag. Mein Vorschlag zur Güte wäre: Weihnachtsansprachen werden wiederholt wie das "Dinner for One" zu Silvester, Jahr für Jahr. Dann kann Wulff auch beruhigt Präsident bleiben, ohne dass wir beim Anhören seiner Rede physisch darunter leiden. Wir können ja einfach abschalten.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST
Chefin vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

More stories: BERLINER MORGENPOST
More stories: BERLINER MORGENPOST
  • 22.12.2011 – 19:48

    BERLINER MORGENPOST: Entschieden wird unterm Baum

    Berlin (ots) - Na endlich. Der Präsident hat gesprochen. "Das war nicht geradlinig und das tut mir leid", sagte Christian Wulff und sah dabei überzeugend mitgenommen aus. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Staatsoberhaupt, Politiker und Jurist zumal, derart deutlich sein Bedauern über "Irriationen" zum Ausdruck bringt. Gleichwohl passt Wulffs Abbitte zum Verlauf der gesamten Affäre. Die Erklärung kam reichlich ...

  • 21.12.2011 – 20:16

    BERLINER MORGENPOST: Diesmal keine Nachsicht mit brutalen Schlägern

    Berlin (ots) - Das Urteil ist hart. Aber es ist geboten. Wer wie die vier Berliner Schüler völlig grundlos aus niedersten Motiven auf einen Menschen einprügelt, ihn fast zu Tode traktiert, hat keine Nachsicht, keine mildernden Umstände verdient. Die Jugendlichen - sie alle haben einen Migrationshintergrund und stammen aus Kenia, dem Irak, dem Kosovo und Bosnien - werden die nächsten Jahre im Gefängnis für ihre ...

  • 20.12.2011 – 20:15

    BERLINER MORGENPOST: Europa braucht die Briten - und umgekehrt - Leitartikel

    Berlin (ots) - Brüssel vor elf Tagen: Es sollte der Krisengipfel sein, der alle Krisengipfel beendet. Stattdessen sieht es so aus, als koste der neue Euro-Rettungsversuch via Fiskal- und Stabilitätsunion einen fatalen Preis, nämlich den Verzicht auf ein im Weltmaßstab handlungsfähiges Europa. Das ist, jenseits aller drängenden Fragen der Währungsunion a conto ...