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Berliner Morgenpost: Das Leiden und die Kraft zur Versöhnung - Leitartikel

Berlin (ots)

Die Worte der alten Hymne enthalten Schmerz und
Hoffnung, dazu den trotzigen Willen zur Selbstbehauptung: "Noch ist 
Polen nicht verloren..." Die kollektive Erinnerung des Landes geht 
weit zurück in die Jahrhunderte. Manche Nationen leben aus ihrer 
Glorie, andere aus den Chroniken ihres Leidens. Polen gehört zu den 
letzteren, und hat wahrhaftig Grund dazu. Auch deshalb ist der 
Absturz der Regierungsmaschine am Samstag nicht nur ein tragischer 
Unfall, was auch immer sich als Ursache erweisen wird. Zeit und Ort 
sind hoch symbolisch: Katyn, das Ziel der Reise, ist bis heute 
Schreckenswort und Trauma, tief eingegraben in die Erinnerung. Nur 
wenige Tage vor der Tragödie hatten Polens Ministerpräsident Donald 
Tusk und Russlands Ministerpräsident Waldimir Putin ihre Worte der 
Versöhnung über den Massengräbern im Wald von Katyn staatsklug und 
versöhnlich gewählt.
Nach dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine beweisen die 
behutsame und kooperative Haltung des polnischen Premiers und der 
Führungsspitze in Moskau eindrucksvoll, wie sehr beide Seiten 
bestrebt sind, den alten Dämonen die Wiederauferstehung zu verbieten.
Insoweit liegen in Schmerz und Trauer auch Hoffnung. Dieses Element 
der Hoffnung ist auch für die entfernter wohnenden Europäer von 
zukunftsweisender Bedeutung. Es bedarf mehr noch als bisher der 
Unterstützung und der Pflege; denn Frieden und Versöhnung können 
abstürzen - wie Flugzeuge. Die Polen haben sich ihren Ort in der 
Mitte Europas nicht gewählt. Er war ihr Schicksal über die letzten 
Jahrhunderte, als Polen immer wegzudenken war von der Landkarte. Der 
Beitritt zum Nordatlantischen Bündnis bedeutete noch mehr als die 
europäische Integration in geschichtlicher Perspektive zuerst und vor
allem den Versuch, sich gegen die Ungunst dieser Lage zu versichern. 
Schließlich verführte die Geografie Osteuropas auch zur 
Grenzenlosigkeit. Im 17. Jahrhundert herrschte noch das 
polnisch-litauische Großreich vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. 
1683 rettete König Johann Sobieski mit seinen Panzerreitern Europa 
vor Wien gegen die Türken.
Aber ein Jahrhundert später hatte die polnische Adelsrepublik sich 
selbst zerstört und wurde geteilt, bis 1795 nichts mehr von ihr übrig
war. Auf dem Wiener Kongress wurde dem russischen Bären - damit er 
sich in die östlichen Wälder trollte - die polnische Gans als 
Wegzehrung eingepackt. "Kongresspolen" wurde russische Provinz. Erst 
am Ende des Ersten Weltkriegs wurde wieder die polnische Republik ins
Leben gerufen, dank amerikanischer, britischer und vor allem 
französischer Interessen.
Die letzte Katastrophe Polens begann, als am 23. August 1939 Hitler 
und Stalin ihren Nichtangriffspakt abschlossen - und das geheime 
Zusatzprotokoll den Sowjets die baltischen Staaten und die Hälfte 
Polens zuteilte. Die Abschreckung des Westens war unernst und 
impotent. Es begann der Vernichtungskrieg: SS-Einsatzgruppen mordeten
im Westen Polens, sowjetische NKWD-Truppen im Osten.
Auf dem Totenfeld von Katyn sollte auch Polens Freiheit sterben. Es 
ist anders gekommen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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