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Berliner Morgenpost: Eine Entscheidung, die die Wähler stärkt

Berlin (ots)

Das Schöne am Bundesverfassungsgericht ist, dass es
bei aller der juristischen Präzision geschuldeten Umständlichkeit 
seiner Urteile im Prinzip einer Linie treu bleibt, die den Kollegen 
Politikern immer wieder mal abhanden kommt. Es entscheidet im Sinne 
des Volkes, nicht nur im Namen des Volkes. Ob es ums 
Nichtraucherschutzgesetz geht oder um die Meinungsfreiheit, ums 
Tragen von Kopftüchern oder den Großen Lauschangriff - die Karlsruher
Richter stärken immer wieder die Freiheit des Einzelnen, schützen 
Grundgesetz und Bürger vor leichtfertigen Eingriffen der Politik. Das
kommt meist etwas unverständlich daher, und bei der Urteilsbegründung
können nur wenige folgen, aber im Kern sind die Urteile, ist die 
Summe dieser Urteile so etwas wie in juristische Formeln verpackter 
gesunder Menschenverstand. Das gilt auch für das Urteil zum Vertrag 
von Lissabon.
Dessen generelle Zielsetzung ist ja richtig. Europa, die Staaten der 
Europäischen Union näher zusammenrücken zu lassen, dabei die 
hochkomplexen Entscheidungsstrukturen zu verschlanken und dem 
Brüsseler Apparat wenigstens erste Konturen eines persönlichen 
Gesichts zu geben, das alles ist überfällig und in seiner Langsamkeit
für ungeduldigere Gemüter kaum zu ertragen. Also haben die Karlsruher
Richter diesen mühsamen Vertragsprozess auch nicht grundsätzlich 
infrage gestellt, wie dieser oder jener Kläger insgeheim gehofft 
haben mag. Sondern sie haben "Ja zu Lissabon" gesagt und gleichzeitig
versucht, die Interessen der Bundesbürger im Gestrüpp der neuen 
Paragrafenwerke einigermaßen hochzuhalten.
Denn das ist ja auch klar: Europa als Ganzes schneller, schlanker, 
entscheidungsfähiger zu machen, ist nur möglich, wenn die Interessen 
seiner nationalen Einzelteile weniger stark gewichtet werden, wenn 
nationale Parlamente und Regierungen also Einfluss, Veto- und 
Gestaltungsrechte abgeben. Womit dann zwangsläufig auch der nationale
Wähler an Einfluss verliert. Genau dieser Zwangsläufigkeit hat 
Karlsruhe einen kräftigen Riegel vorgeschoben. Unter anderem, weil 
die EU noch immer nicht in einer Weise demokratisch strukturiert ist 
wie die Bundesrepublik, sondern eher so halb, und zur anderen Hälfte 
ziemlich bürokratisch und willkürlich. Anders ausgedrückt: Solange 
das EU-Parlament auf europäischer Ebene nicht die gleichen Rechte hat
wie der Bundestag auf nationaler, müssen unsere Volksvertreter, also 
im Prinzip: wir Wähler, zustimmen, bevor die EU Regeln erlässt, an 
die wir uns halten sollen. Eigentlich selbstverständlich, aber 
offenbar von unseren Parlamentariern bisher nicht ausreichend 
beherzigt. Deshalb müssen sie jetzt nachsitzen in den Sommerferien 
und ein neues Begleitgesetz erarbeiten - auch das eine Folge der 
Karlsruher Entscheidung, die einem nicht unbedingt ungerecht 
vorkommt.
Fehlt noch ein Kommentar zum zweiten Teil des gestrigen Urteils, in 
dem das Gericht auch die eigene Rolle und Bedeutung für den 
europäischen Einigungsprozess gestärkt hat. Der fällt kurz aus: Das 
finden wir gut.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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