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Berliner Morgenpost: Kommentar: Endlich ein Streit, der Berlin nach vorne bringt

Berlin (ots)

Ja, Berlin braucht Visionen. Und die müssen sich
nicht nach Flächennutzungsplänen richten. Die Debatte, die Klaus 
Wowereit mit seinem öffentlichen Sinnieren über eine mögliche 
Umgestaltung des historischen Stadtkerns losgetreten hat, kann Berlin
nur gut tun. Der Gedanke ist nicht neu, Wowereits 
Kulturstaatssekretär André Schmitz hat in den vergangenen Monaten 
immer wieder und recht vehement die Bebauung der eigentümlichen 
Freifläche mit dem riesigen Marx-Engels-Denkmal zwischen Rotem 
Rathaus und Spreeufer propagiert. Gehört hatten es bis dahin jedoch 
nur wenige. Aber natürlich ist Berlins Regierender Bürgermeister ein 
sehr effektiver Verstärker, zumal bei der leicht atonalen 
Hintergrundmusik, die seinen für viele überraschenden Vorschlag 
begleitet - die offenbar ebenfalls überraschte 
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer will von einer 
Bebauung der alten Mitte nichts wissen und steht nun - und das nicht 
zum ersten Mal - reichlich bedröppelt da.
Aber, nein, was Berlin ganz bestimmt nicht braucht, ist weiteres 
kleinkariertes Gezänk um Zuständigkeiten und vermeintlich 
unumstößliche Beschlüsse. Jede Debatte, die eine Idee dessen 
abbildet, wie sich Berlin definieren könnte, die einen weiten Blick 
wagt über die hier und da anstehenden einzelnen Baumaßnahmen hinaus, 
bringt die Stadt voran. Die durch den Bombenkrieg verursachten 
"Narben und Wunden schreien nach Heilung" hat Wowereit gesagt. Man 
kann die Narben zeigen, betonen, offen halten, wie es Chipperfield 
bei seiner herrlich umstrittenen Neugestaltung des Neuen Museums 
getan hat. Mann kann sie weg lasern, glätten und straffen, wie es bei
der möglichst originalgetreuen Rekonstruktion des Stadtschlosses 
geschieht. Wie immer man sich dazu verhält, ob man sie verachtet oder
feiert - beide Entwürfe sind große Würfe, die unterschiedliche Ideen 
dessen spiegeln, was Berlin sein soll. Und die engagierte, hitzige, 
wohltuende Debatten ausgelöst haben. Davon brauchen wir mehr. Und 
keine Angst vor vermeintlich abseitigen Ideen. Das von André Schmitz 
despektierlich als Brache, "über die im Winter der Wind fegt", 
bezeichnete Marx-Engels-Forum ist dafür ein fantastischer Ort: 
ursprünglich dicht bebauter Teil eines lebendigen Stadtkerns, im 
Krieg zerbombt, in den Achtzigerjahren als quasi sakraler 
Marxismus-Park angelegt, ist dieser Ort eben tatsächlich eine 
Freifläche. Soll man dort das ursprüngliche Marienviertel historisch 
werkgetreu rekonstruieren, wie es die DDR nebenan mit dem 
Nikolaiviertel versucht hat? Schicke Townhouses hochziehen? Doch 
lieber nur den Park umgestalten, wie es Senatsbaudirektorin Regula 
Lüscher will? Oder vielleicht sogar ein modernes 
Dienstleistungszentrum für die Bürger bauen? All das darf diskutiert 
werden. In ihrer Architektur und ihren inhaltlichen Widmungen 
definiert und erklärt sich eine Stadt. Auch die nun entfachte Debatte
um die begrünte Brache in Mitte hilft, eine Gesamtidee für Berlin zu 
entwickeln, eine Vision, wie die Stadt sein will in 20, 30, 100 
Jahren. Das hat er gut hinbekommen, der Regierende.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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