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Berliner Morgenpost: Zeitenwende. Warum wir jetzt wach sein sollten - Kommentar

Berlin (ots)

Wir sind blind geworden in diesen atemberaubenden
Zeiten, in denen uns die alten Wahrheiten nur so um die Ohren 
fliegen. Es ist ja gar nicht mehr sinnvoller eine Bank zu gründen als
eine zu überfallen. Die Aktionäre auch der deutschen Kreditinstitute 
könnten ein garstig' Lied zu diesem Thema verfassen.
Und wir? Wir hätten doch jeden ausgelacht vor einem Jahr, der uns von
einer "Abwrackprämie" erzählt hätte. Von fünf Milliarden Euro, die 
der Staat mal eben so unter die Leute bringt. Fünf Milliarden Euro! 
Davon kann man in Steglitz 10000 ziemlich propere Eigenheime 
erwerben. Oder 500000 Opel Corsa. Subventionen. Steuergeld. 
Wahnsinn. Verteilt nach einem ziemlich willkürlichen Schema, an 
Menschen, die nichts ahnend im Jahr 2000 einen Mercedes gekauft 
haben. Und ihn jetzt eintauschen wollen gegen einen, sagen wir mal, 
Fiat. Wir nehmen das hin in diesen Tagen, schulterzuckend, als gäbe 
es kein Gestern, keine Spardebatte, keinen Hans Eichel. Es ist eine 
sehr große Zeitenwende.
Noch ein Beispiel. Ein US-Präsident, leibhaftig, kündigt an, auf 
Atomwaffen verzichten zu wollen und eine Welt ohne nukleare 
Bedrohungsszenarien anzustreben. Der US-Präsident sagt das, der 
mächtigste Mann der Welt, dessen Machtfülle über Jahrzehnte 
wesentlich auf der Verfügung über eben diese Waffe gründete, über den
legendären Atomkoffer. Heiliger George W., das wäre undenkbar gewesen
noch vor Monaten.
Und wir? Wir nehmen Obamas Bekenntnis zur Kenntnis, mehr skeptisch 
und schulterzuckend als ungläubig und staunend. Dabei geht da gerade 
noch ein Weltbild über den Jordan, nukleare Strategien und 
Gleichgewichte, bibliothekswändeweise. Bei Daimler,der deutschen 
Unternehmensinstitution schlechthin, reden sie zur selben Zeit laut 
über Entlassungen. Wo mag das enden?
Morgen ist Karfreitag, ein Tag, an dem selbst in unserem säkularen 
Land viele Dinge stillstehen. Ein Tag, an dem noch einiges ist wie 
früher. Keine Feiertagsöffnung, nicht mal ein Zweitligaspiel, 
vielleicht isst man sogar Fisch. Kein schlechtes Datum also, um 
innezuhalten und darüber nachzudenken, was diese Weltwirtschaftskrise
gerade mit uns macht, mit unserer Gesellschaft, aber - nach der 
Bundestagswahl und ohne Abwrackprämie - mit jedem Einzelnen. Und ob 
wir gerüstet sind für weitere Überraschungen.
Wir sollten jedenfalls unsere Sensoren schärfen, unsere Augen offen 
halten und die Ohren spitzen, uns dabei nicht unterkriegen lassen vom
Stakkato der Neuigkeiten. Es wird mehr als früher darauf ankommen, 
alert zu sein in dieser neuen Welt, die sich da gerade zusammenbraut,
eben nicht bräsig wegzuschauen, abzustumpfen, sich auf die anderen zu
verlassen. Sondern hellwach zu sein, aufzupassen auf die Nuance, die 
das eine Leben vom anderen unterscheiden kann. Und es wird, im 
Einzelnen wie im großen Ganzen, darauf ankommen, nicht übereinander 
herzufallen, sondern die vielleicht nicht so zahlreichen Chancen 
gemeinsam besser zu nutzen. Ein frommer Wunsch?
Vielleicht. Aber zur rechten Zeit.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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