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Berliner Morgenpost: Zumwinkel und die gefühlte Gerechtigkeit - Kommentar

Berlin (ots)

Glücksforscher haben festgestellt, dass das
Wohlbefinden von Menschen nicht von ihrem absoluten Wohlstand 
abhängt, sondern vielmehr von gefühlter Gerechtigkeit. So erklärt 
sich, dass Südsee-Insulaner überaus glücklich sind. Sie besitzen zwar
nicht viel mehr als eine Hütte und einen Einbaum, aber genau hier 
liegt das Geheimnis: Alle Bürger haben in etwa gleich wenig. Und 
gleichartige Lebensumstände sorgen für Zufriedenheit.
Das Gegenteil gilt ebenfalls: Wenn zum Beispiel die Einkommen allzu 
weit auseinander klaffen, steigt das gefühlte Unbehagen der Menschen.
In Skandinavien liegen die Einkünfte der Leute dichter beieinander 
als hierzulande; das Glücksempfinden wiederum höher. In Deutschland 
dagegen hat sich die Schere zwischen oberen und unteren Einkommen in 
den letzten Jahrzehnten deutlich geöffnet. Zugleich schwand das 
Vertrauen der Menschen in das Aufstiegsversprechen, das in 
Wirtschaftswunderzeiten jedem Tüchtigen gemacht wurde. Die Zahl der 
Tellerwäscher, die durch Fleiß und Geschick zum Millionär wurde, 
bleibt übersichtlich.
Wenn der frühere Post-Chef Klaus Zumwinkel sich nun 20 Millionen Euro
Pensionsansprüche auszahlen lässt, mag das rechtens sein. Aber es 
widerstrebt dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Bürger, denen es 
deutlich zuviel zumwinkelt in Deutschland. Der Vertrag über diese 
Summe ist verhandelt worden, als die leiseste Frage nach der 
Angemessenheit noch mit dem Totschlagargument von der 
"Neid-Gesellschaft" beantwortet wurde. Im Zuge der Finanzkrise 
normalisieren sich die Maßstäbe. Es fällt zunehmend schwer zu 
erklären, warum eine Kassiererin nach Unterschlagung eines Pfandbons 
das Vertrauen ihres Arbeitgebers verliert und fristlos gekündigt 
werden darf, ein Post-Chef dagegen trotz erwiesener 
Steuerhinterziehung noch öffentliche Millionen scheffelt. Zumal die 
Post in der Hand des Bundes ist, jedwede Zahlung also mittelbar 
öffentliches Geld bedeutet.
Am Wochenende kam noch ein zweiter unschöner Vorwurf ans Licht: Laut 
einem internen Vermerk soll Zumwinkel als Aufsichtsratschef der 
Telekom auch illegale Spähaktionen gedeckt haben. Soll der Bürger 
wirklich jene alimentieren, die der Gemeinschaft vorsätzlich 
Steuergeld vorenthalten, und womöglich Judas-Löhne für Schnüffler 
freigegeben haben? Mag Zumwinkel vertraglich Recht auf 20 Millionen 
Euro haben - verdient hat er sie nicht. Die gesellschaftliche 
Ächtung, die vor einigen Jahren jedem Sozialhilfetrickser zuteil 
wurde, darf auch den Größen der Wirtschaft zuteil werden. Zudem 
sollten gerade die lautstark protestierenden Politiker kurz einmal 
überlegen, wer denn die Verträge mit Zumwinkel im Quasi-Staatsbetrieb
Post durchgewunken hat. Die Volksvertreter gewinnen ihre 
Glaubwürdigkeit erst dann wieder, wenn die Mehrheit der Bürger den 
Eindruck hat, dass man sich gesellschaftlichen Aufstieg und Status 
nicht nur verdienen kann, sondern auch stets aufs Neue verdienen 
muss.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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