Rheinische Post: Alle Parteien wollen den Lagerwahlkampf
Düsseldorf (ots)
von Sven Gösmann
Ausgerechnet Bundespräsident Horst Köhler hat mit seiner 
Ankündigung, eine zweite Amtszeit anzustreben, den Startschuss für 
einen Dauerwahlkampf gegeben, wie ihn die Bundesrepublik noch nicht 
erlebt hat. Mit Köhler stellt sich erstmals ein Staatsoberhaupt ohne 
klare Mehrheit in der Bundesversammlung zur Wiederwahl. Die SPD wird 
seine ihm 2004 unterlegene Gegenkandidatin Gesine Schwan erneut ins 
Rennen schicken, die sich dem Vernehmen nach ihrer Parteiführung auch
durch Indiskretionen gegenüber der Presse förmlich aufgedrängt hat. 
Am Ende könnte der Umstand stehen, dass erstmals ein Bundespräsident 
abgewählt wird.
Gleichzeitig entsteht aus der Personalie Köhler eine Fülle neuer 
Herausforderungen für die Parteien. Die Bundespräsidentenwahl ist 
traditionell von parteitaktischen Überlegungen geprägt. Das war bei 
Köhlers Nominierung 2004 so, die nach dem Willen von Union und FDP 
den Boden für eine schwarz-gelbe Bundesregierung bereiten sollte; das
war 1969 so, als die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann die 
sozial-liberale Koalition vorwegnahm.
Diese historischen Begleitumstände hat Horst Köhler bei seinem 
mutigen Schritt im Blick, sie sind für ihn aber nicht 
ausschlaggebend. Nicht zufällig klang seine Ankündigung denn auch wie
die eines Wahlkämpfers - in eigener Sache.
Demonstrativ berief sich der in Berlin bis ins eigene Lager hinein 
wegen seiner pauschalen Kritik an "der Politik" ungeliebte Präsident 
auf die Zustimmung in der Bevölkerung. Die Bürger schätzen Köhler 
über alle Maßen - gerade auch, weil sie ihm seine Ferne zum 
Parteienhickhack als Qualität anrechnen. Nicht umsonst brachte der 
mitunter öffentlich ungelenk auftretende Präsident einst in einer 
Talkshow die Idee auf, das Staatsoberhaupt künftig direkt wählen zu 
lassen.
Nichtsdestotrotz werden wir erleben, wie sich das bürgerliche Lager 
zähneknirschend hinter seinem Kandidaten versammelt; das linke 
wiederum hinter seiner Kandidatin. Denn auf beiden Seiten der 
Barrikade ist ein beinahe wollüstiges Seufzen über die heraufziehende
Konfrontation hörbar. Endlich geht es nicht mehr um die letztlich 
diffus gebliebene Mitte, sondern um die Rückkehr zum lang vermissten 
Lagerwahlkampf.
Schließlich leiden alle Berliner Parteien an der großen Koalition - 
Union und SPD etwa in unterschiedlichem Maße an Auszehrung: die Union
programmatisch, weil ein Teil ihrer Funktionärselite und 
Mitgliederschaft mit dem Kurs der liberalen Merkel-CDU fremdelt; die 
SPD in der Wählergunst, weil sich die Katastrophenstimmung der Partei
unter ihrem Vorsitzenden Beck permanent verstärkt.
Die Oppositionsparteien FDP und Grüne leiden unter ihrer 
Machtlosigkeit und der Angst, dass 2009 wieder nur eine große 
Koalition möglich werden könnte. Im beginnenden Präsidentenpoker 
können sie sich dagegen teuer an den Wunschpartner für die Zeit nach 
der Bundestagswahl verkaufen. Der Preis der Grünen, mit der 
rot-grünen wie der schwarz-grünen Option wendiger unterwegs als die 
Liberalen, dürfte dabei höher sein. Die Linkspartei wiederum leidet, 
weil sie der Konkurrenz zwar thematisch eine "Diktatur des Oskariats"
("Stern") aufgezwungen hat, aber das Schmuddelkind im Berliner 
Sandkasten geblieben ist.
Ein vorzeitiger Bruch der Koalition ist nicht zu erwarten. Die SPD 
und ihr Chef Beck werden erst einige Momente auf das Echo lauschen, 
das ihr riskantes Präsidentenmanöver erzeugt. Freunden sich die 
Bürger mit Gesine Schwan an, sinken Köhlers Umfragewerte, wird Beck 
das als Erfolg verbuchen. Es könnte ihm die Möglichkeit eröffnen, 
doch als Kanzlerkandidat anzutreten. Verläuft die Entwicklung 
andersherum, ist Beck als SPD-Chef nicht zu halten und die Partei 
steht im Wahljahr 2009 vor einem Trümmerhaufen. Dann schlägt die 
Stunde der Krisengewinnler: Die SPD-Linke Andrea Nahles oder der 
SPD-Rechte Sigmar Gabriel werden sich als Retter in der Not 
präsentieren.
Und die Präsidentschaftskandidaten? Sie wollten Herren des Verfahrens
bleiben, sich an die Spitze der Debatte ums Staatsoberhaupt setzen. 
Erreicht haben Köhler und Schwan das Gegenteil. Der Wahlkampf macht 
sie zu Objekten der Parteipolitik. Darüber könnte das Amt des 
Bundespräsidenten dauerhaft Schaden nehmen.
Bericht: Der Präsidenten-Wahlkampf, TitelseitePressekontakt:
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