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Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 23. August 2011 den Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen:

Bremen (ots)

Mehr Chancen als Risiken

von Joerg Helge Wagner

Endlich mal wieder gute Nachrichten: Die Menschheit ist ihren dienstältesten Diktator los, die Nato hat bei keinerlei eigenen Verlusten in nur fünf Monaten die UN-mandatierte Mission "Unified Protector" erfolgreich beendet. Die Teilung Libyens ist vermieden worden und der Ölpreis sinkt auch noch! Zudem darf man hoffen, dass die Vertreibung des libyschen Staatschefs durch das eigene Volk auch dem Freiheitsstreben in Syrien, Jemen und womöglich Iran neuen Schwung verleiht. Was will man mehr? Viel, nämlich eine klare Perspektive für die sechs Millionen Libyer unter einer ebenso verlässlichen wie demokratisch legitimierten neue Regierung. Nur damit ließe sich der massive Militäreinsatz der Nato rechtfertigen, der mit tausenden Lufteinsätzen Milliarden Euro gekostet hat und der das Bündnis auf eine gefährliche Zerreißprobe stellte. Die westlichen Staaten müssen jetzt alles dafür tun, dass der revolutionäre Elan freiheitlich-demokratisch kanalisiert wird. Dem militärischen Engagement muss massive politische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung folgen. Damit, dass die Ölquellen wieder sprudeln, darf sich eine Wertebündnis wie die Nato nicht zufrieden geben. Die Ausgangslage erscheint viel besser als in Afghanistan. Das Land ist durch den halbjährigen Krieg nicht völlig verwüstet, die Spitzenvertreter der Aufständischen mahnen besonnen zum Verzicht auf Rache. Zudem gibt es keine materiellen Probleme: Zusätzlich zum Ölreichtum kann die Übergangsregierung mit dem eingefrorenen Vermögen des Gaddafi-Regimes rechnen; allein in Deutschland schlummern davon gut sieben Milliarden Euro. Folglich muss die Bundesregierung nicht einmal viel Geld in die Hand nehmen, um ihrer militärischen Verweigerung nun ziviles Handeln folgen zu lassen. Anders als in Afghanistan geht es nicht darum, hunderte Schulen und Krankenhäuser zu bauen - aber genau wie in Afghanistan ist ein demokratisches Justiz- und Polizeiwesen aufzubauen. Jetzt können die Deutschen zeigen, was sie aus den Fehlern am Hindukusch gelernt haben, und sich wirklich als Lead Nation profilieren. Darüber also sollte man sich in Berlin den Kopf zerbrechen und nicht über einen vielleicht doch noch möglichen Bundeswehreinsatz in dem Wüstenstaat. Erstens hat dort bislang niemand nach der Bundeswehr gerufen und zweitens wäre diese auch gar nicht in der Lage, einen nennenswerten Beitrag zu leisten, ohne ihre Kräfte in Afghanistan vollends zu überfordern. Drittens würde das notwendige Bundestagsmandat kaum überzeugend ausfallen - weder für die deutschen Soldaten noch für die Verbündeten. Richtig heikel - und zwar für alle Beteiligten - wird der Umgang mit Gaddafi, wenn man ihn denn lebend fassen sollte. Es gibt zwar internationalen Haftbefehle wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, doch ein Prozess in Den Haag würde unangenehme Wahrheiten zutage fördern. Immerhin stünde ein Mann vor Gericht, der einst vor dem Elysée-Palast sein Zelt aufschlagen durfte und der vom ganzen Westen als geläuterter Terror-Pate rehabilitiert worden war. Und im libyschen "Übergangsrat" sitzen offenbar auch Leute, die diesem Paten allzu lange ergeben gedient haben. Am einfachsten wäre es, wenn sich der bizarre Egomane selbst richten würde - aber darauf zu spekulieren verbietet sich. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de

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