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Börsen-Zeitung: Höhenangst, Marktkommentar von Stefan Schaaf

Frankfurt (ots)

Alles war vorbereitet: die Fernsehkameras auf die Kurstafel der Frankfurter Börse gerichtet, Chroniken geschrieben und Grafiken erstellt worden. Die deutschen Finanzmedien hatten sich in der abgelaufenen Handelswoche auf den ersten fünfstelligen Kurs des Dax eingestellt. Vielleicht war sogar im Handel die eine oder andere Flasche Champagner kaltgestellt worden, auch wenn das Geschäft immer mehr von Maschinen statt von Menschen gemacht wird.

Nur, die Investoren spielten nicht mit, die medial bedeutsame Marke von 10.000 Punkten mochte einfach nicht fallen, am Ende fehlten hierzu knapp 30 Indexpunkte. Bei 9970,77 Punkten - immerhin einem Rekordhoch - war am Freitag Schluss. Scheuen die Anleger also die Marke von 10.000 Zählern? Diese Frage unterstellt, dass Aktienmärkte noch immer eine nationale Angelegenheit sind. Doch die marktmachenden Investoren sind globale Player, bei denen ein Teil ihrer Allokation auf deutsche Aktien entfällt und die nicht vor der 10.000 auf der Kurstafel zurückschrecken würden.

Dennoch ist das Verharren des Dax knapp unter der Fünfstelligkeit ein Symptom für den Zustand der Aktienmärkte der Industrieländer. Wer behauptet, Anleger scheuten die 10.000-Punkte-Marke, könnte genauso gut sagen, Investoren scheuten die 1950 Zähler im S&P 500 oder 3300 Stellen im Euro Stoxx 50. Denn unabhängig von gern als psychologisch wichtige Marken charakterisierten Indexständen hat sich quer durch die Aktienmärkte Höhenangst breitgemacht. Nahezu alle wichtigen Indizes der Industrieländer verharren nahe von Rekordhochs wie der Dax und der S&P 500 oder auf Mehrjahreshochs wie der Euro Stoxx 50.

Offenkundig ist den Aktienmärkten in den vergangenen Tagen der Aufwärtsschwung abhandengekommen. Viele Investoren sehen scheinbar keinen Grund mehr, Aktien nachzukaufen, was die Kurse weiter nach oben treiben würde. Gleichzeitig ziehen sie ihr Geld aber auch nicht ab. Diese abwartende Haltung spiegelt sich in der extrem niedrigen Volatilität wider. Der VDax-New, der die Volatilität im Dax misst, befindet sich auf Tiefstständen. Nicht viel besser sieht es bei seinem US-Pendant VIX aus, der laut Bloomberg-Berechnungen in Chicago derzeit 40% unter seinem langjährigen Durchschnitt handelt. Manche spotten daher schon, die Märkte seien eingeschlafen.

Für den Attentismus gibt es dieser Tage allerdings auch einen triftigen Grund: die anstehende Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank hat die Erwartungen hochgehängt für eine weitere Lockerung ihrer Geldpolitik. Zinssenkung, negative Einlagezinsen, ABS-Aufkäufe, gar ein großvolumiges Anleihekaufprogramm - quasi eine Dicke Bertha 2.0 - werden am Markt diskutiert. Doch möglicherweise dämmert es inzwischen dem einen oder anderen, dass die EZB keine Federal Reserve ist und die Erwartungen des Marktes an eine quantitative Lockerung ziemlich überzogen sind. Kommt es am nächsten Donnerstag aber "nur" zu einer Zinssenkung, dann dürfte die Enttäuschung groß sein.

Die EZB scheint dies zu ahnen. Die Geister, die sie mit ihrer bisherigen lockeren Geldpolitik rief, bereiten ihr offenbar Sorgen. Wie wäre sonst die Warnung im jüngsten Finanzstabilitätsbericht zu lesen? Die Notenbank warnt darin vor einem abrupten Ende der Renditejagd. Das heißt nichts anderes, als dass kräftige Kursverluste und eine Korrektur drohen, wenn aus irgendeinem Grund das Marktsentiment kippt. Dies beträfe den Aktienmarkt, aber auch die Staatsanleihen der Europeripherie. Die Angst vor einer Korrektur könnte Investoren Zurückhaltung üben lassen.

Investmentprofis sprechen in solchen Situationen gern vom "mittelfristig intakten Aufwärtstrend" - und haben recht damit. Der Anlagenotstand wird wegen der weiterhin extrem niedrigen Zinsen anhalten. Dividendenpapiere sind eine Antwort auf diese Lage. Hinzu kommt, dass langfristig niedrige Zinsen die Bewertungsmaßstäbe für Aktien verändern. Berechnen Analysten den fairen Wert einer Aktie, so haben sie die diskontierten künftigen Erträge aus dem Wertpapier im Blick. Sind jedoch die Zinsen und damit der Diskontierungsfaktor niedrig, sind künftige Erträge etwa aus Dividenden heute mehr wert als bei höheren Zinsen. Folglich "verträgt" ein höherer Gewinn auch einen höheren Kurs, um zur gleichen Bewertung zu kommen. Die Frage nach der fairen Bewertung einer Aktie oder eines Index muss sich jeder Anleger ständig beantworten. Daran änderte auch ein Dax über 10.000 Punkten nichts.

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