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Umgang mit sexuellem Missbrauch: „Es fehlt ein glaubhaftes Bekenntnis der katholischen Kirche, die eigenen Machtstrukturen hinterfragen zu wollen“

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Die „Kultur des Vertuschens“ und die Schonung des Systems in der katholischen Kirche begünstigen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, lautete das Fazit der Ringvorlesung „Sexualisierte Gewalt im Kontext von Kirche“. Deshalb forderten die Expert_innen grundlegende Änderungen beim Zölibat und eine Entklerikalisierung. Auch der Umgang mit den Opfern müsse sich ändern.

Wer die drei Stichworte „Gewalt“, „Sex“ und „Kirche“ in eine Online-Suchmaschine eingibt, erhält über zehn Millionen Treffer – für Professor Dr. Joachim Windolph ist das eine Zahl, die offenlegt, wie groß die Dimension des Themas „Sexualisierte Gewalt im Kontext der Kirche“ ist, das bei der Ringvorlesung der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) am 31. Mai im Fokus stand. „Wieso erfahren gerade Menschen innerhalb der katholischen Kirche sexuelle Gewalt – in einer Institution mit hohem moralischen Anspruch, in der seelsorgerisch gearbeitet wird, viel von Vertrauen die Rede ist und die von ihrer gesellschaftlichen Breite her viele Menschen betrifft?“, eröffnete Windolph die Runde. Vor gut 20 Jahren hatten Skandale an der Odenwaldschule und in kirchlichen Heimen für einen öffentlichen Aufschrei gesorgt. Doch bis heute werden Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zum Teil vertuscht und die Opfer nicht gehört.

Dass durch Wegsehen und Schweigen in der katholischen Kirche in erster Linie die Missbrauchstäter geschützt werden und nicht die Opfer, machte Prof.‘in Dr. Karla Verlinden anhand harter Fakten deutlich: 3.677 Opfer gab es offiziell von 1946 bis 2014 laut der MHG-Studie, die den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige erforscht. Oft vergingen sich die Geistlichen über zwölf Jahre lang an Kindern und Jugendlichen, durchschnittlich 44 Kinder pro Täter seien so zusammengekommen. „Damit die Opfer schweigen, nutzen die Geistigen ihr Machtverhältnis aus und betten ihre Tat in ein religiöses Setting ein“, so die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Dem Kind werde damit gedroht, es habe sich versündigt und ihre Offenlegung des Missbrauchs führe zur ewigen Verdammnis.

Aus Sicht Verlindens gibt es in der Kirche eine gewollte Machtasymmetrie zwischen Klerikern und Laien – und das sei ein entscheidender Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Zu oft wägen Täter sich in Sicherheit, zu oft sähen Kirchenverantwortliche die Kleriker als selbst bedroht und nicht als Gefahr für Minderjährige an: „Diese Vertuschung und Schonung des Systems begünstigen einen fehlerhaften Umgang mit Verdachtsfällen und führen zu lückenhaften Akten“, so Verlindens Fazit. Zudem existiere die Vorstellung, dass Kleriker durch ihr Zölibat besser mit ihren sexuellen Neigungen umgehen könnten als Laien. „Aber dem ist nicht so!“, hielt sie fest. Dieses Leben ohne Sex, ohne Ehe und ohne Familie führe zu einer Binnenstruktur innerhalb der katholischen Kirche, von der sich auch Pädophile angezogen fühlten.

Viel zu kurz komme der Umgang mit den Opfern: „Es fehlt ein glaubhaftes Bekenntnis der katholischen Kirche, die eigenen Machtstrukturen kontrollieren und hinterfragen zu wollen“, sagte Verlinden, „die Deutungsmacht bleibt bei den Tätern, denn wo Macht nicht kontrolliert wird, ist es einfacher, sie zu missbrauchen.“ Die Opfer sähen sich nach der sexualisierten Gewalt und ihrer Offenbarung ein weiteres Mal traumatisiert: „Durch die Nicht-Aufarbeitung werden Betroffene nach der Gewalttat zu stummen Opfern degradiert.“

Als Vertreter einer Berufsgruppe, der man blindlinks vertraut hat und die nun unter Generalverdacht steht, berichtete Thomas Taxacher aus seinem Berufsalltag. Der Leitende Pfarrer in Altenberg und Odenthal findet die Unterscheidung zwischen Laien und Klerikern problematisch: „Die Überhöhung durch die Priesterweihe erzeugt einen hohen Vertrauensvorschuss für die Geistlichen, der ihnen im Missbrauchsfall zugutekommt“, sagte Taxacher. Auch die Unterdrückung von Gefühlen, die das Zölibat voraussetzt, begünstige Missbrauch und werde nicht immer ehrlich diskutiert. Aus seinem Alltag kennt Taxacher auch eine damit einhergehende Einsamkeit und Vereinzelung in der neuen Gemeinde. Wie mit Missbrauchsverdacht umgegangen wird, hänge laut Taxacher stark von der Haltung der Gemeinde vor Ort ab: Inwiefern werden die angebotenen Präventionsschulungen konsequent umgesetzt? Wird mehr auf die Beschuldigten geschaut als auf die Täter? Wie gehen die eigenen Mitbrüder mit dem Missbrauchsthema um? Taxacher: „Ein häufig geäußertes Argument in früheren Gemeinden, einen Fall auf sich beruhen zu lassen, lautete: ‚Was soll’s! Der ist doch schon lange tot, da muss man nichts mehr machen.‘“ Genau das sei das falsche Vorgehen – genau hinsehen und seine eigene Haltung überprüfen sei der richtige Weg. In den Pfarreien gibt es also noch viel Luft nach oben.

Die Zahlen, die Manuela Röttgen (Präventionsbeauftragte im Erzbistum Köln) präsentierte, machten Hoffnung: Das Erzbistum hat eine Präventionsordnung entwickelt, seit 2014 wurden 425 Präventionsfachkräfte im Kinder- und Jugendbereich ausgebildet, 122 waren es im Bereich schutz- und hilfebedürftiger Erwachsener. Die Präventionsschulungen werden dauerhaft durchgeführt, sodass alle Mitarbeitenden oder ehrenamtlich Tätigen im Erzbistum Köln eine Schulung durchlaufen haben. Auch an der katho wäre eine solche Prävention für Studierende und Lehrende sinnvoll, schrieb ein Mitdiskutant im Publikumschat: Die Hochschule war jüngst in die Schlagzeilen geraten, weil ein Geistlicher an der katho Seminare anbot, ohne dass seine Missbrauchsvergangenheit aufflog. Dieser Forderung konnte Verlinden nur beipflichten: „In unseren Modulhandbüchern muss ein Konzept sexueller Bildung aufgenommen werden.“

Das Thema des vierten und letzten Teils der Ringvorlesung am 28. Juni 2021 um 18:00 Uhr lautet: „Worauf es Christ_innen ankommt: Kirche als sozialpolitische Akteurin“

Alle interessierten Bürger_innen sind ebenso herzlich eingeladen teilzunehmen – bitte nach kurzer vorheriger Anmeldung mit Angabe des Namens und ggf. der Institution an: weltimwandel@katho-nrw.de.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Ansprechpartner für inhaltliche Fragen:

Professor Dr. Joachim Windolph

j.windolph@katho-nrw.de

Pressekontakt:

Katja Brittig

T: 0221 7757-508

presse@katho-nrw.de

Über die Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Die Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) ist mit über 5.100 Studierenden Deutschlands größte staatlich anerkannte Hochschule in kirchlicher Trägerschaft. Träger der 1971 gegründeten Hochschule sind die fünf (Erz-)Bistümer in NRW, refinanziert wird sie zum überwiegenden Teil vom Land. 123 hauptamtlich Lehrende und 279 Lehrbeauftragte unterrichten und forschen in Aachen, Köln, Münster und Paderborn in den Arbeitsgebieten Soziales, Gesundheit und Religionspädagogik. Deutschlandweit ist sie mit ca. 2.500 Studienplätzen die größte Anbieterin für den Studiengang Soziale Arbeit. Die katho ist renommiert in der Forschung von Pflege und Versorgung, Soziale Innovation, Sucht und Suchtprävention, Gesundheit und Soziale Psychiatrie, Gender und Transkulturalität, Bildung und Diversity, Alter und Behinderung, Inklusion und Teilhabe, Netzwerkforschung in der Sozialen Arbeit sowie pastorale Praxisforschung. Die katho kooperiert mit internationalen Universitäten und Praxiseinrichtungen in 37 Ländern.
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