Studie warnt: Agrarmodelle unterschätzen Folgen von Wasserstau für Ertrag und Boden
Studie warnt: Agrarmodelle unterschätzen Folgen von Wasserstau für Ertrag und Boden
Die derzeitige Dürre in Europa gefährdet Landwirtschaft und Bodenqualität. Aber auch Starkregen und Überschwemmungen können weltweit Ernten gefährden. Eine Studie warnt nun: Bisherige landwirtschaftliche Simulationsmodelle sind nicht in der Lage, die komplexen Auswirkungen von Wasserstau (Wasserlogging) auf Ernteerträge und Bodenprozesse zuverlässig vorherzusagen.
Angesichts zunehmender Extremwetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel und weil etwa 27 Prozent der weltweit kultivierten Flächen jährlich von Wasserstau betroffen sind, sei eine Verbesserung der Modellierung erforderlich, um fundierte Strategien für eine klimaresiliente und nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln. „Aktuelle Modelle bilden nicht zuverlässig ab, wie stark temporäre Überflutungen die Pflanzengesundheit, Bodenfunktionen und Erträge beeinträchtigen. Insbesondere in Regionen mit hohen Grundwasserständen ist das ein reales Risiko für die Ernährungssicherheit“, erklärt Prof. Dr. Tobias K. D. Weber, Fachgebietsleiter Bodenkunde an der Universität Kassel und einer der Autoren der Studie.
Im Rahmen des internationalen Agricultural Model Intercomparison and Improvement Project (AgMIP) untersuchten die Autorinnen und Autoren 21 weitverbreitete Getreidemodelle, um die Fähigkeit dieser Modelle zu bewerten, Wasserstau-Phänomene realistisch abzubilden und deren Konsequenzen auf Ertragsbildung, Bodenprozesse und Pflanzengesundheit zu simulieren. Die Bilanz: Nur 24 Prozent der untersuchten Modelle simulieren die Wasserbewegung im Boden überhaupt realistisch, etwa durch die Berücksichtigung des kapillaren Aufstiegs, einem entscheidenden Prozess zur Einschätzung von Dauer und Intensität von Stressphasen.
Darüber hinaus berücksichtigen viele Modelle zentrale bodenphysikalische und biochemische Vorgänge nur unzureichend. So fehlt in den meisten Fällen eine realistische Darstellung der Bodenversalzung, der Belüftungs im Wurzelraum oder der Mobilisierung toxischer Elemente unter Wasserstau-Bedingungen. Nur wenige Modelle (z. B. APSIM, AquaCrop, SWAP) können den Salztransport im Boden simulieren – dabei ist das essenziell, weil Wasserstau häufig mit einer Anreicherung von Salzen im Wurzelbereich einhergeht. Ein weiterer kritischer Aspekt, der häufig vernachlässigt wird, ist die Simulation lateraler Wasserbewegungen und oberflächlicher Überflutungen. Nur 29 Prozent der Modelle erfassen diese Prozesse vollständig, während 71 Prozent aufgrund der hohen Komplexität in der zweidimensionalen Bodenwasserbewegung darauf verzichten.
Auch die pflanzenphysiologischen Reaktionen auf Wasserstau werden in den Modellen nur eingeschränkt abgebildet: Während einige den Einfluss auf die Biomasse betrachten, lassen andere wichtige Prozesse wie Photosynthese, Transpiration oder kurzfristige Anpassungsmechanismen außer Acht. Resilienzmechanismen, etwa die Fähigkeit von Pflanzen, sich nach Wasserstress zu erholen, fehlen in der Mehrzahl der Modelle gänzlich. „Unsere Analyse zeigt deutlich: Viele dieser Modelle greifen in der Darstellung kritischer Prozesse zu kurz. Das erschwert belastbare Vorhersagen und damit auch die Entwicklung geeigneter Anpassungsmaßnahmen“, so Weber. „Ohne genauere Modelle drohen systematische Fehleinschätzungen, z.B. zu Ernteverlusten, Bodenqualität oder zur langfristigen Tragfähigkeit landwirtschaftlich genutzter Flächen.“
Um die Qualität landwirtschaftlicher Modelle nachhaltig zu verbessern, empfehlen die Forschenden eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Pflanzenphysiologie, Hydrologie, Bodenkunde und Klimaforschung. Gleichzeitig sei ein globales Beobachtungsnetzwerk nötig, beispielsweise zur Erfassung von Wasserständen, Bodenfeuchte oder Nährstoffdynamiken. Auch moderne Technologien wie Fernerkundung und maschinelles Lernen sollten gezielter eingesetzt werden, um Modelle schneller weiterzuentwickeln und Unsicherheiten zu reduzieren.
„Ohne präzisere Simulationen laufen wir Gefahr, die Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft systematisch zu unterschätzen“, warnt Weber. „Nur durch belastbare Modelle lassen sich rechtzeitig wirksame, nachhaltige Strategien entwickeln – zum Schutz von Erträgen, Böden und Wasserressourcen weltweit.“
Die Studie wurde in der Fachzeitschrift nature food veröffentlicht und kann unter https://www.nature.com/articles/s43016-025-01179-y abgerufen werden.
Kontakt:
Prof. Dr. Tobias Weber
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