Alternativen zu tierischen Lebensmitteln ermöglichen mehr Auswahl am gemeinsamen Tisch – neue Chancen für Umwelt, Tierwohl und eine gesunde Ernährung , PI Nr. 72/2025
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Alternativen zu tierischen Lebensmitteln ermöglichen mehr Auswahl am gemeinsamen Tisch – neue Chancen für Umwelt, Tierwohl und eine gesunde Ernährung
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz übergibt sein Gutachten zu Alternativprodukten an Bundesminister Alois Rainer. Die Co-Leiterin des Gutachtens, Britta Renner von der Universität Konstanz, zeigt individuelle Spielräume bei der Ernährung auf und betont die Bedeutung des sozialen Miteinanders am gemeinsamen Tisch.
Pflanzenbasierte und biotechnologische Alternativen zu Fleisch, Milch und Co. gewinnen langfristig an Bedeutung – auch angesichts drängender Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Tierwohl. In einem heute veröffentlichten Gutachten analysiert der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) das Potenzial sogenannter Alternativprodukte. Der Beirat empfiehlt der Bundesregierung, diese Technologien gezielt zu fördern – als Baustein einer zukunftsorientierten Politik für nachhaltigere Agrar- und Ernährungssysteme. Das Gutachten wurde unter Mitwirkung von Prof. Dr. Britta Renner, Professorin für Psychologische Diagnostik und Gesundheitspsychologie an der Universität Konstanz und stellvertretende Vorsitzende des WBAE, erstellt.
Das Gutachten betrachtet pflanzliche Alternativprodukte, biotechnologische Verfahren wie Zellkultivierung und Präzisionsfermentation als auch sogenannte Hybridprodukte. Sie alle können dazu beitragen, einige negative Umweltwirkungen der Nutztierhaltung zu verringern – ohne dass Menschen ihr Ernährungsverhalten grundlegend ändern. „In den letzten Jahren essen die Menschen in Deutschland schon rund 10 kg Fleisch weniger pro Jahr, aber dafür mehr Käse. Dadurch sind die gesamten Treibhausgasemissionen der Ernährung kaum gesunken. Alternativprodukte können einen Ausweg aus diesem ‚Käseparadox‘ bieten, weil sie häufig eine deutlich bessere Treibhausgasbilanz aufweisen“, erklärt Prof. Dr. Achim Spiller, Universität Göttingen und Vorsitzender des Beirats. Dafür braucht es sensorisch überzeugende Alternativen und deshalb auch eine gezielte Förderung von Innovationen. Dies bietet Chancen für die deutsche Ernährungswirtschaft.
Ernährungsweisen im Wandel
„Wir sehen eine zunehmende Diversifizierung der Ernährungsstile in der Bevölkerung – von überzeugten Fleischliebhabern, klassischen Fleischkonsumentinnen, Personen, die ihren Fleischkonsum aus verschiedenen Gründen reduzieren möchten, Vegetarierinnen bis hin zu Veganern“, betont Prof. Dr. Britta Renner, Universität Konstanz und stellvertretende Vorsitzende des WBAE. „Diese Vielfalt eröffnet neue individuelle Spielräume – stellt uns aber auch vor Herausforderungen im sozialen Miteinander und im Hinblick auf einen ‚gemeinsamen Tisch‘. Die von uns entwickelte 3-R-Strategie – Reduce (z. B. kleinere Fleischportionen), Remix (Hybridprodukte), Replace (innovative Alternativen) – zeigt, wie vielfältig, flexibel und alltagstauglich ein reduzierter Konsum tierischer Lebensmittel aussehen kann.“ Alternativprodukte bieten neue Wahlmöglichkeiten für Menschen, die sich aus ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen anders ernähren wollen. Die breite Mehrheit betrachtet Alternativprodukte sehr offen und unideologisch. „Auch die Politik sollte bei diesem Thema die Erweiterung der Möglichkeiten und das soziale Miteinander in den Mittelpunkt stellen“, so Britta Renner. „Beim Thema Alternativprodukte geht es darum, einen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz zu leisten und den weltweit erwarteten Anstieg der Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln abzufedern – nicht um eine Abschaffung der Nutztierhaltung”, erläutert Prof. Dr. Kay-Uwe Götz, Co-Leiter der Arbeitsgruppe.
Gezielte Förderung statt Blockade
Der WBAE spricht sich deutlich für faire Wettbewerbsbedingungen aus. Dazu gehört insbesondere die Beendigung der steuerlichen Schlechterstellung der Alternativprodukte bei der Mehrwertsteuer. Bislang unterliegen Alternativprodukte – im Gegensatz zu tierischen Erzeugnissen – dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 %. Auch ist eine transparente Verbraucherinformation für einen fairen Wettbewerb wichtig. Zwar sind Alternativprodukte im Durchschnitt gesünder und umweltfreundlicher, das gilt aber nicht in allen Fällen. Der WBAE empfiehlt deshalb der Bundesregierung eine Weiterentwicklung und Förderung des Nutri-Scores und die Einführung eines Klimalabels.
„Für die Nutztierhaltung ist die Entwicklung von Alternativprodukten eine Herausforderung – aber auch eine Chance für eine nachhaltige Transformation, die die Landwirtschaft bewältigen kann“, erklärt Prof. Dr. Justus Wesseler, Universität Wageningen und Co-Leiter der Arbeitsgruppe. „Wir erwarten keinen abrupten Strukturbruch, sondern einen schrittweisen Wandel. Wichtig ist, dass wir diesen Wandel aktiv gestalten und Betriebe gezielt beim Umbau unterstützen – insbesondere im Sinne des Tierwohls“, so Prof. Dr. Hiltrud Nieberg, Thünen-Institut und stellvertretende Vorsitzende des Beirats. Besonders in Regionen mit intensiver Tierhaltung könnten sich durch den Wandel positive Umweltwirkungen entfalten. Vor allem in Regionen mit überwiegend extensiv genutztem Grünland besteht allerdings die Gefahr, dass durch einen Rückgang grünlandbasierter Tierhaltungen (vor allem Rinder, Schafe) naturschutzrelevante Dauergrünlandflächen aus der Nutzung fallen. In seinem Gutachten empfiehlt der Beirat eine Reihe von Maßnahmen, die den Erhalt biodiversitätsreicher Kulturlandschaften sichern können.
Zukunft gestalten – Chancen nutzen
Um die Innovationskraft im Bereich von Alternativprodukten mit nachgewiesenen Nachhaltigkeitsvorteilen zu stärken, empfiehlt der WBAE gezielte Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung. Alternativprodukte erweitern das Angebot und eröffnen damit einen neuen Weg, um Umwelt und Tiere zu schützen, das soziale Miteinander zu stärken und mehr Auswahlmöglichkeiten am gemeinsamen Tisch zu schaffen.
Öffentliche Fachveranstaltung: Der Beirat präsentiert heute (22. Juli 2025) zentrale Aussagen des Gutachtens in einer öffentlichen virtuellen Fachveranstaltung von 16.00 Uhr bis 17.00 Uhr, wobei genügend Zeit für den Austausch mit allen interessierten Teilnehmenden vorgesehen ist. Anmeldung unter https://uni-goettingen.zoom-x.de/webinar/register/WN_bBiaLrCCQWmT1tdDUhmdBA
Fotos: Fotos von der Übergabe des Gutachtens werden zeitnah hier bereitgestellt: https://owncloud.gwdg.de/index.php/s/jsTYuVOSYVuPoBe
Ansprechpartner*innen:
- Prof. Dr. Achim Spiller (Vorsitzender des WBAE), a.spiller@agr.uni-goettingen.de
- Prof. Dr. Britta Renner (Co-Leitung des Gutachtens, stellvertretende Vorsitzende des WBAE), britta.renner@uni-konstanz.de
- Prof. Dr. Justus Wesseler (Co-Leitung des Gutachtens), justus.wesseler@wur.nl
- Prof. Dr. Kay-Uwe Götz (Co-Leitung des Gutachtens), kay-uwe.goetz@mailbox.org
- Dr. Sarah Iweala (Wiss. Mitarbeiterin des WBAE), sarah.iweala@uni-goettingen.de
Download des Gutachtens:
https://www.bmel.de/DE/ministerium/organisation/beiraete/agr-veroeffentlichungen.html
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
- uni.kn